Frage an Claudia Lücking-Michel von Haik P. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrte Frau Lücking-Michel,
die vielfältigen Erinnerungen an den Völkermord in Ruanda, die wir dieser Tage in allen Medien und in der politischen Öffentlichkeit erfahren, bringt mich auf die Frage: Werden Sie sich für eine Gedenkfeier im Deutschen Bundestag zum 24. April 2015, dem 100. Jahrestag des türkischen Völkermords an den Armeniern, einsetzen? Halten Sie es für erforderlich, die deutsche Verantwortung in dieser Frage neu zu bestimmen? Und halten Sie es für notwendig, aus dieser besonderen deutschen Verantwortung heraus endlich eine förmliche Anerkennung des Genozids von 1915 auszusprechen und die Politik des Leugnens und des diplomatischen Versteckspiels zu beenden?
Hochachtungsvoll
Haik Petrossian
Diplom-Psychologe
Sehr geehrter Herr Petrossian,
Vielen Dank für ihre Anfrage.
Die umfangreichen Veranstaltungen zur Erinnerung an den ruandischen Völkermord letzte Woche haben auch meine Überzeugung aufs Neue bestärkt, dass die Verantwortung der internationalen Gemeinschaft und insbesondere Deutschlands, sich weiter für das friedliche Zusammenleben der Völker, Ethnien und Religionen sowie für die Herrschaft des Rechts einzusetzen, unbedingt gewahrt werden muss. Wir sind verpflichtet, Aufarbeitung zu fördern, um damit eine Stärkung von Demokratie und Menschenrechten auf der ganzen Welt hervorzurufen.
Diese Verpflichtung heißt auch, die Verschleppung und den Völkermord an den Armeniern 1915 nicht zu ignorieren.
Bereits in der vergangenen Legislaturperiode erklärte die Vorsitzende der Arbeitsgruppe Menschenrechte und Humanitäre Hilfe der CDU/CSU-Bundestagsfraktion am 24. April 2012: „Es ist nach beinahe einem Jahrhundert an der Zeit, die Aufarbeitung des Völkermords an den Armeniern endlich zu beginnen. Dazu muss die Türkei zu einem opferorientierten Umgang mit den dunklen Seiten ihrer nationalen Geschichte finden.“ An anderer Stelle hat sie von der „Tatsache des Genozids an den Armeniern“ gesprochen. Auch andere Politiker von CDU und CSU haben bereits mehrmals betont, dass an den Armeniern ein Genozid begangen worden ist.
Mit dem am 2. Mai 2011 in Potsdam eröffneten Lepsius‑Haus, eine Forschungs- und Begegnungsstätte, die nicht zuletzt dem Gedenken an den Völkermord von 1915 gewidmet ist, hat die ehemalige Schwarz-Gelbe Regierung bereits ein Zeichen gesetzt. Der deutsche Theologe Johannes Lepsius engagierte sich zeit seines Lebens für das armenische Volk. Durch seinen Bericht erfuhr die Öffentlichkeit 1916 vom Massenmord an den Armeniern. Zudem soll hier das kulturelle Erbe der Armenier erforscht und auch der Dialog zwischen Türken und Armeniern ermöglicht werden.
In den kommenden Wochen werden der Auswärtige Ausschuss und der Ausschuss für Menschenrechte darüber beraten, welche konkreten Maßnahmen zum Gedenken an den Völkermord ergriffen werden können. Die Klärung von bestimmten Detailfragen ist noch offen. Deren Empfehlung wird die Grundlage für weitere politische Maßnahmen bilden. Verschiedene Regelungen sind jeweils denkbar, auf überfraktioneller und individueller Ebene.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Claudia Lücking-Michel