Frage an Clara West von Matthias S. bezüglich Gesundheit
Sehr geehrte Frau Dr. West,
bei der Abstimmung über die zentrale Unterbringung von Flüchtlingen auf dem ehemaligen Tempelhofer Flughafengelände bitte ich Sie folgendes zu bedenken.
Der Gesundheitszustand vieler Flüchtlinge wird aufgrund der vorangegangenen Strapazen und fehlenden medizinischen Versorgung angeschlagen sein. Zentrale Lager sind ideale Nährböden für Infektionen. Anzahl, räumliche Nähe und geschwächte Immunsysteme begünstigen den Umfang und die Schnelligkeit der Verbreitung von Krankheitserregern. Eine schnelle Auslese wird kaum möglich sein, da eine Infektion nicht automatisch mit sofort erkennbaren Symptomen einhergeht. Auch eine präventive generelle Verabreichung von Antibiotika verbietet sich, da niemand die Entwicklung multiresistenter Keime riskieren möchte.
So einleuchtend einige Vorteile einer zentralen Verwaltung auch sein mögen, es es nicht sinnvoll (und auch nicht preiswerter),
dafür leichfertig die Gesundheit von Zuwanderern und Einheimischen bewußt aufs Spiel zu setzen.
Wie ausgereift sind denn die Pläne für einen derartigen Ernstfall ?
Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie dies bei der Abstimmung am 28. Januar beherzigen würden.
Mit freundlichen Grüßen
Pharmazeut,
Matthias Schirrmeister
Sehr geehrter Herr Schirrmeister,
vielen Dank für Ihre Frage bzw. Ihren Hinweis.
Die Frage des Infektionsschutzes und des konkreten Umgangs mit ausbrechenden Infektionskrankheiten war zwar nicht Inhalt des von uns am vergangenen Donnerstag beschlossenen Änderungsgesetzes - aber nichtsdestotrotz wichtig. Dies gilt allerdings gleichermaßen für alle Flüchtlingsunterkünfte, auch wenn die Anzahl der Menschen, die derzeit und vor allem zukünftig in den Gebäuden des Tempelhofer Flughafens untergebracht sind bzw. werden, die Verantwortlichen vor eine besondere Herausforderung stellt.
Wir haben in Berlin für solche Fälle ein klar geregeltes Vorgehen, dass in der Verantwortung der Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales sowie den bezirklichen Gesundheitsämtern liegt. Das örtliche Gesundheitsamt ist zuständig für die Einhaltung der Infektionsschutzmaßnahmen und regelt dies in enger Abstimmung mit dem Lageso sowie dem Robert-Koch-Institut. Der Weg der Meldepflicht und der Ablauf aller weiteren Maßnahmen ist dabei genau gesetzlich geregelt.
Die Gesundheitsversorgung im Flughafengebäude war in den ersten Wochen tatsächlich nicht optimal, die entsprechenden Strukturen mussten erst aufgebaut werden. Mittlerweile allerdings hat sich in Kooperation mit Vivantes hier vieles verbessert und verbessert sich auch weiter täglich. Sie haben recht, eine präventive Verabreichung von Antibiotika ist nicht vorgesehen. Allerdings werden Impfmaßnahmen durchgeführt, durch die immer mehr Bewohner der Unterkunft einen Schutz erhalten. Dieses Angebot wird weiter ausgebaut. Auch die Einführung der elektronischen Gesundheitskarte wird in den kommenden Wochen und Monaten Stück für Stück zu einer deutlichen Verbesserung der gesundheitlichen Versorgung der geflüchteten Menschen beitragen.
Die Unterbringung und Versorgung der ankommenden Flüchtlinge, auch und vor allem im medizinischen Bereich, stellt die Berliner Verwaltung insgesamt vor eine große Herausforderung, der alle Beteiligten jeden Tag mit größtem Einsatz begegnen. Und das vor dem Hintergrund, dass Teile der Berliner Verwaltung sowohl auf Landes- als auch Bezirksebene nach mehreren Jahrzehnten der Personaleinsparungen an die Grenzen ihrer Kapazitäten kommen. Eine schnelle, perfekte Lösung gibt es hier leider nicht, die Strukturen können und müssen momentan im Laufenden Betrieb eben nur sukzessive ausgebaut werden.
Mit der Unterbringung so vieler Menschen wie derzeit in Tempelhof ist niemand zufrieden - leider kann eine schnelle Unterbringung zur Zeit aber anders nicht gewährleistet werden. Momentan gibt es in der Stadt die Situation, dass verschiedene Lösungen gegeneinander ausgespielt werden. Turnhallen, leerstehende Gebäude beschlagnahmen, temporäre Bebauung auf dem Tempelhofer Feld...? Aus meiner Sicht ist die unangenehme Wahrheit, dass wir uns nicht eine der Lösungen aussuchen können - wir werden alles gleichzeitig tun müssen und wir werden auch mit allen Entscheidungen Wut hervorrufen und Widerstand. Wir kommen immer mehr dahin, dass die Menschen im Alltag spüren, was ein "wir schaffen das" bedeutet - nämlich schwierige, unangenehme und strittige Entscheidungen zu treffen und gemeinsam tragen zu müssen. Wir befinden uns in einem Umbruchprozess und dieser löst Verunsicherung und Konflikte aus. So auch bei der Frage um eine temporäre Bebauung des Tempelhofer Feldes.
Nach wie vor sind wir uns politisch einig, dass es für eine gelungene Integrationspolitik unerlässlich ist, die Menschen, die eine dauerhafte Bleibeperspektive haben, möglichst breit auf die Stadt zu verteilen. Wir arbeiten auch hieran mit Hochdruck - aber sowohl Wohnungsneubau als auch die Ertüchtigung leer stehender Gebäude sind nicht auf die Schnelle zu haben und für die Zeit zwischendurch brauchen wir nun einmal Lösungen. Auch wenn diese nicht immer optimal sind.
Wir wollen und müssen Kapazitäten vorhalten, damit das Land Berlin vorausschauender auf all diese Herausforderungen reagieren kann. Dafür schafft der Senat jetzt die Voraussetzungen. Eine temporäre Bebauung des Tempelhofer Feldes wird eben auch die Möglichkeit bieten, die Strukturen der medizinischen Versorung weiter zu professionalisieren.
Ich würde mich freuen, wenn Sie uns allen, der Stadt als Ganzes und auch uns als Regierungspartei, diese Zeit geben.
Mit freundlichen Grüßen,
Clara West