Frage an Clara Herrmann von Jochen M. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrte Frau Herrmann,
auf Ihren Wahlplakaten werben Sie mit dem Slogen: gerecht, mutig lebensnah.
Wieso meinen Sie, dass Sie mit 21 Jahren lebensnah genug sind, um die Interessen Ihrer Wähler vertreten zu können?
Für welche Reformen/Veränderungen in unserem Bezirk, den Sie dann im AGH vertreten, werden Sie sich mutig einsetzen?
Wie gerecht gehen Sie mit andersdenkenden aus anderen Parteien (CDU, FDP, NPD, PDS, REP, SPD) hinsichtlich einer Koalition um? Wie schaffen Sie es als Grüne-Jugend-Sprecherin Ihr ideologischen Prinzipien treu zu bleiben und trotzdem mit denen Verhandlungen/ eine Koalition einzugehen?
Mit freundlichen Grüße Jochen Mayer
Sehr geehrter Herr Mayer,
vielen Dank für Ihren kritischen Fragenkomplex.
Ich vertrete die Ansicht, dass Jugend per se kein Kriterium für eineN PolitikerIn ist, aber eben auch kein Ausschlusskriterium sein darf. So verschieden die Menschen, so verschieden die Lebensrealitäten. Wie bei vielem kommt es auf den Inhalt an, nicht auf Aussehen, Alter, Herkunft oder andere äußere Kriterien.
Einen Funktion des Systems Halbtagsparlament, wie es das Berliner Abgeordnetenhaus darstellt, ist, dass es Menschen mit den verschiedenen Lebenshintergründen die Möglichkeit bieten soll aktiv an der Politik teilzuhaben - Selbstständigen, wie Angestellten und Arbeitslosen, oder auch RentnerInnen und jungen Menschen. Ich bin der Auffassung das die Mitglieder eines Parlamentes das gesamte gesellschaftliche Spektrum wiederspiegeln sollte. Es gibt ja auch aus diesem Grund regionale VertreterInnen über die Direktkreise, so dass aus allen Bezirken VolksvertreterInnen im Parlament sitzen.
Unter "lebensnah" verstehe ich, dass PolitikerInnen für die Menschen im Kiez und Ihre Probleme offene Ohren haben, diese ernst nehmen und vor allem die Lebensrealitäten vor Ort wahrnehmen, kennen und in ihr politisches Handeln einbeziehen.
Ich glaube auch Bevölkerungsschichten authentisch vertreten zu können, ohne dass ich Ihnen unmittelbar angehöre. Ich komme zu dieser Überzeugung, weil ich die Gesellschaft als Ganzes im Auge habe, über Tellerränder hinwegsehe und meine politische Überzeugung auf Grundlage der tatsächlichen Zustände bilde. Ein wichtigen Teil dazu tragen Gespräche, Besuche verschiedener Einrichtungen und Veranstaltungen bei. Am wichtigsten ist meines Erachtens das ständige Hinterfragen der eigenen Meinung.
Zu Ende gedacht lautet die Aussage in Ihrer Frage: PolitikerInnen könnten nur Probleme bewältigen, die sie am eigenen Leibe erfahren hätten und mit 21 Jahren habe mensch noch keine Erfahrungen gemacht. Das kann ich so nicht nachvollziehen. Auch in meinem familiärem und persönlichen Umfeld habe ich mit den verschiedensten Menschen Kontakt und schon einige Erfahrungen sammeln können beispielsweise in einem Job als Putzkraft und nicht zuletzt über meine politischen Aktivitäten.
Ihre Frage nach den Reformen für den Bezirk ist sehr umfangreich. Ich möchte Ihnen im Folgenden nur einige Beispiele nennen.
In der Berliner Arbeitsmarktpolitik muss sich vieles ändern. Ich möchte mich dafür einsetzen, dass den vielen Menschen, die unter präkeren Lebensverhältnissen leben neue Perspektiven und Möglichkeiten geschaffen werden. In der Arbeitsmarktpolitik darf der Berliner Senat nicht Eingliederungsmittel verfallen lassen, sozialversicherungspflichtige Arbeit und Ausbildung muss bei der Vermittlung VOR den sogenannten "Ein-Euro-Jobs" stehen, die nur eines von vielen Instrumenten sind, aber in Berlin das mit Abstand am meist eingesetztes darstellt. Hier möchte ich mein Bestes tun, um dagegen zu steuern. Ich möchte mich dafür einsetzen, dass im Bezirk möglichst keine Zwangsumzüge durchgeführt werden.
Der zentralste Gerechtigkeitsfrage stellt ein chancengerechtes Bildungssystem dar. Es gilt das selektierende Bildungssystem zu reformieren. Ich mache mich stark für eine gemeinsame Schule nach skandinavischem Vorbild. Die Probleme werden nicht gelöst, wenn die heutigen Schultypen einfach zusammengewürfelt werden, vielmehr kommt es auf die Qualität an. Kleiner Klassen, andere Lernmethoden, individuelle Förderung, Lerntagebücher statt Ziffernnoten, Abschaffung des Sitzenbleibens, sind nur einige Beispiele dafür.
Desweiteren mache ich mich stark gegen Rechtsextremismus und würde gerne mit Aktiven im Kiez ein Demokratiestärkungsprogramm an den Schulen durchführen.
Gerne können Sie aber auch direkt mit mir über meine politischen Ziele persönlich sprechen.
Zu ihrer letzten Frage bezüglich des Umgangs mit anderen Parteien. Es ist kein Geheimnis, dass wir Grünen anstreben in einen rot-grünen Senat einzutreten. Sollte das Wahlergebnis dies nicht erlauben, gebührt es der demokratischen Kultur mit den anderen demokratischen Parteien in Sondierungsgespräche zu begeben. Für mich kommt es auf den Inhalt und die Möglichkeit der Umsetzung eigener politischer Vorstellungen an. Bei FDP und CDU sehe ich persönlich eine sehr kleine Schnittmenge und große Unterschiede (zum Beispiel in der Bildungspolitik) und kann mir nicht vorstellen, dass es zu einer solchen Regierungsbeteiligung kommen könnte.
Mit den von Ihnen aufgeführten Parteien NPD, REP, aber auch anderen Parteien am äußersten rechten Rand, die u.a. anstreben das demokratische System auszuhebeln und menschenfeindliche Äußerungen von sich geben - würde ich nicht zusammenarbeiten.
Mit freundlichen Grüßen,
Clara Herrmann