Frage an Christoph Strässer von Tobias S. bezüglich Recht
Sehr geehrter Herr Strässer,
nicht zuletzt aufgrund einer persönlichen Betroffenheit möchte ich Sie gern auf das Phänomen der mißbräuchlichen Anwendung der Abmahnung durch so genannte "Abmahn-Anwälte" aufmerksam machen.
Dabei werden vermeintliche Verstöße beispielsweise gegen das Urheberrecht oder bei Pflichtangaben im Website-Impressum mittels Serienbriefen aus Textbausteinen massenhaft und gewerbsmäßig abgemahnt. Den Beschuldigten wird i.d.R. die Unterzeichnung einer Unterlassungserklärung und Übernahme erheblicher finanzieller Forderungen abverlangt. In der Unterlassungserklärung ist zudem oft genug ein juristisch verklausuliertes Schuldeingeständnis enthalten, das der juristische Laie gar nicht als solches erkennen kann.
Die Politik hat immerhin 2008 einen - leider unzureichenden - Versuch unternommen, mittels § 97a Abs. 2 Urheberrechtsgesetz (UrhG) für Marginalverstöße eine Kostendeckelung einzuführen. Das OLG Köln hat etwa im einmaligen Zugänglichmachen eines Musikalbums in einer Tauschbörse - also ohne jede Gewinnabsicht für den Anbieter - bereits ein besonders verwerfliches gewerbliches(!) Ausmaß erkannt (OLG Köln, 9.2.2009, Az. 6 W 182/08 - ich habe gerade das Vergnügen, aus einer Abmahnung zu zitieren). Wie vermutlich viele Opfer besitze ich nicht das Hintergrundwissen, die technische oder juristische Basis eines solchen Vorwurfs nachzuvollziehen.
Die Wurzel des Abmahn-Mißbrauchs ist in meinen Augen die Möglichkeit, die willkürlich gewählten Kosten einer Abmahnung nicht zunächst einmal dem Mahnenden, sondern direkt dem Abmahnungsopfer aufs Auge zu drücken. Bei einer Serie von einigen tausend Abmahnungen werden sich stets genügend nicht juristisch beratene Opfer finden, um mit dieser Masche Profit zu erzielen.
Bitte beantworten Sie mir daher folgende Frage: haben Sie bzw. Ihre Fraktion die Absicht, sich in Zukunft mit Maßnahmen gegen gewerbsmäßige Massenabmahnungen zu beschäftigen? Welche Maßnahmen erscheinen Ihnen dazu geeignet?
Mit freundlichem Gruß
Sehr geehrter Herr Steinkamp,
vielen Dank für Ihre Anfrage.
Sie haben ein sehr aktuelles Thema angesprochen, dessen Problematik wir uns bewusst sind und mit dem wir uns zur Zeit intensiv auseinandersetzen.
Der Bereich des Geistigen Eigentums ist allerdings sehr weit und muss viele verschiedene Interessen berücksichtigen. So gilt es zum Einen, urhebergeschützte Werke vor der unrechtmäßigen Verbreitung und Vervielfältigung zu schützen und die Stellung der Rechteinhaber zu stärken. Zudem muss die Einhaltung von Impressumspflichten und weiteren Hinweisvorschriften gewährleistet werden, um die Identifizierung von Rechtsverletzern zu ermöglichen und eine Verfolgung der Täter sowie die Durchsetzung eigener Rechte zu vereinfachen. Insbesondere Jugendliche müssen auf die Illegalität ihrer Handlungen aufmerksam gemacht werden können. Zum Anderen ist es notwendig, die Veränderungen, die durch das Medium Internet entstanden sind, mit dem Urheber- und Wettbewerbsrecht in Einklang zu bringen.
Ich stimme mit Ihnen darin überein, dass gegen die missbräuchliche Anwendung des Abmahnverfahrens vorzugehen ist. Ein erster Schritt war die von Ihnen erwähnte Einführung des § 97a Abs. 2 UrhG, die wir stark befürwortet haben, um das Ausmaß der Missbräuche zumindest einzudämmen. Darüber hinaus haben wir im April 2010 eine Anfrage im Bundestag an die Bundesregierung gestellt (Drucksache 17/1585), die sich auf die Problematik bezog und beschäftigen uns zudem im Rahmen unserer Arbeitsgruppe Rechtspolitik und im Rechtsausschuss mit der Entwicklung weiterer Maßnahmen.
Die gänzliche Abschaffung des Abmahnverfahrens halten wir für ungeeignet. Das Verfahren dient der außergerichtlichen Einigung und ist kostensparend, sofern dadurch ein ordentliches Gerichtsverfahren verhindert werden kann. Wir sind uns allerdings dem Missbrauch dieses Verfahrens durch Anwälte und Wettbewerber bewusst. Daher ziehen wir in Betracht, die Kosten der 1. Abmahnung nicht dem Abmahnungsadressaten, sondern dem Abmahnenden aufzuerlegen. Zudem erwägen wir, die nach der aktuellen Rechtslage bestehende Möglichkeit für den Abmahnenden, sich den Gerichtsstand frei auszuwählen, einzuschränken. Mit dieser Maßnahme wollen wir verhindern, dass sich der Abmahnende die unterschiedliche Auslegung einzelner Tatbestände durch die Gerichte zu Nutzen macht und durch die Wahl des Gerichtes begünstigend auf den Ausgang des Verfahrens einwirken kann.
Ich hoffe, Ihre Fragen hiermit weitestgehend beantwortet zu haben, und wünsche Ihnen viel Erfolg bei dem Vorgehen gegen missbräuchliche Abmahnungen.
Mit freundlichen Grüßen
Christoph Strässer