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Christoph Strässer
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Frage von Andreas R. •

Frage an Christoph Strässer von Andreas R. bezüglich Kultur

Sehr geehrter Herr Strässer,

Wenn ich an europäische Kultur denke, dann denke ich an Demokratie und das Grundgesetz. Darin widerspiegeln sich Jahrtausende alte philosophische Grundsätze aus Griechenland, dem Römischen Recht, der Französische Revolution, der Aufklärung. Einzig die Union spricht aufgrund der Dominanz der Kirche vor allem im Mittelater gerne von "christlich-abendländischer Leitkultur".

Einen Laizismus wie in Frankreich gibt es jedoch nicht. So übernimmt der Staat das Gehalt für Bischöfe und unterhält die religionswissenschaftlichen Lehrstühle, was zusammen jährlich etwa 460 Millionen Euro kostet. Quelle: http://www.heise.de/tp/r4/artikel/33/33442/1.html Finanzämter treiben die Kirchensteuer ein und Religion ist ordentliches Lehrfach an den Schulen (die Wahrheit ("Evolution") erfährt man erst in der Oberstufe!). Mit Spannung muss auf das Urteil Lautsi vs. Italien vor dem Europ. Gerichtshof für Menschenrechte gewartet werden, bei dem sich Eltern gegen Kruzifixe an Schulen einsetzen. Bei der Besetzung von Thelogie-Lehrstühlen haben Kirchen ein Vetorecht, obwohl der Staat die Gehälter zahlt und das Grundgesetz von Freiheit der Wissenschaft spricht. Kirchen sind in Rundfunk- und Ethikräten oftmals überrepräsentiert. Quelle: http://www.ibka.org/infos/privilegien.html

Als zweitgrößter Arbeitgeber mit ca. 1,2 Millionen Beschäftigten brauchen sich katholische und protestantische Verbände wie Caritas oder Diakonie nicht an arbeitsrechtliche Bestimmungen zu halten: "Die Kirchen missbrauchen ihre Sonderstellung zum Lohndumping", klagte der ver.di-Sekretär Dieter Seifert angesichts von Entgelt-Zahlungen, die um bis zu 30 Prozent unter Tarif liegen. Quelle: http://www.heise.de/tp/r4/artikel/33/33442/1.html

Wird die SPD nach ihrer Wahl die Privilegien der Kirche endlich abschaffen und sich für einen in weltanschaulichen Fragen neutralen Staat einsetzen?

Mit freundlichen Grüßen
Andreas Reichhardt

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Reichhardt,

herzlichen Dank für Ihre Anfrage zu Privilegien der Kirchen in Deutschland. Sie haben eine kontrovers diskutierte Frage aufgegriffen, die zu recht kritisch in der öffentlichen Diskussion steht.

Das Recht der freien Religionsausübung ist in Artikel 4 Abs.1 des Grundgesetzes verankert. Für die SPD ist es daher selbstverständlich, die weltanschaulich-religiöse Überzeugung eines jeden Individuums und von Gruppierungen zu achten, sowie jedem die Freiheit zu sichern, sein Leben danach zu gestalten. Europas Geschichte, Kultur und ethisches Bewusstsein wurde entscheidend durch das Christentum geprägt. So verlangt das Grundrecht der Glaubens- und Gewissensfreiheit die Gleichbehandlung aller Bürger im Bereich von Gesetzgebung, Rechtssprechung und Verwaltung. Deshalb muss sich meiner Meinung nach der Staat weltanschaulich-religiös neutral verhalten. Die Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zu einer Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft darf keine Vor- oder Nachteile mit sich mitbringen.

Dies gilt auch für die Teilnahme am Religionsunterricht. So unterscheiden sich die Teilnahmepflichten und Inhalte der Unterrichte von Bundesland zu Bundesland teilweise sehr stark. Denn die (Aus-)Gestaltung des Religionsunterrichtes ist Sache der Bundesländer, die über einen gewissen gesetzlichen Spielraum verfügen. In vielen Bundesländern wird, wenn die Kinder nicht am Religionsunterricht teilnehmen möchten, ein alternatives Schulfach wie Ethik oder Philosophie angeboten und den Kindern entsteht kein Nachteil, wenn sie nicht am Religionsunterricht teilnehmen wollen.
Auch das Hamburger Programm der SPD vom 28. Oktober 2007 enthält in einem eigenen Abschnitt ein klares Bekenntnis zur Bedeutung von Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften: „Wir bekennen uns zum jüdisch-christlichen und humanistischen Erbe Europas und zur Toleranz in Fragen des Glaubens. Wir verteidigen die Freiheit des Denkens, des Gewissens, des Glaubens und der Verkündigung. Grundlage und Maßstab dafür ist unsere Verfassung. Für uns ist das Wirken der Kirchen, der Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften durch nichts zu ersetzen, insbesondere wo sie zur Verantwortung für die Mitmenschen und das Gemeinwohl ermutigen und Tugenden und Werte vermitteln, von denen die Demokratie lebt. Wir suchen das Gespräch mit ihnen und, wo wir gemeinsame Aufgaben sehen, die Zusammenarbeit in freier Partnerschaft.“

Kirchen und Religionsgemeinschaften sind „Träger der Zivilgesellschaft“, wie auch Parteien, Gewerkschaften, Sozial- und Umweltverbände: Sie sind unsere Partner auf dem Weg zu einer humanen, zukunftsfähigen Gesellschaft. Und so suchen wir den Austausch mit den unterschiedlichen Kirchen und Glaubensgemeinschaften in ethischen Fragen, z.B. der Bio- und Gentechnologie oder der Medizin. Die Sozialdemokratie steht für ein tolerantes Europa, das seine unterschiedlichen Nationen und Regionen, Kulturen und Religionen als Reichtum versteht und pflegt. Wenngleich also eine enge Anbindung an die christlich-jüdische Tradition besteht, sollten wir zukünftig den Dialog mit allen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften intensivieren.

In einem Antrag, der im vergangenen Sommer in die parlamentarischen Beratungen des Deutschen Bundestages eingebracht wurde, hat die SPD-Bundestagsfraktion sehr eindeutig Stellung zum Thema Religion und Religionsfreiheit bezogen. Er trägt die Drucksachennummer 17/3428 und ist im Internet einsehbar.

Diskussionswürdig, und daher auch in dem Antrag angesprochen, ist unserer Ansicht nach der § 166 des Strafgesetzbuchs (StGB). Er stellt die Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen unter Strafe, wenn dadurch der öffentliche Frieden gestört wird. Auch wenn in der Praxis Bestrafungen nach § 166 StGB selten geworden sind, steht der Tatbestand dennoch in einem Spannungsverhältnis zum Recht auf Meinungsfreiheit und Religionsfreiheit

Im Übrigen bezieht die SPD seit Jahren eine klare Position in der Frage eines gesetzlichen Mindestlohns. Wir wollen, dass branchenübergreifend, ein angemessener Mindestlohn eingeführt wird, der verhindert, dass vollzeitbeschäftige Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zusätzliche Leistungen zum Aufstocken ihres Gehaltes benötigen, um ihren Lebensunterhalt zu sichern. Dies soll auch für die Kirchen gelten. Es ist nicht hinnehmbar, wenn sich kirchliche oder kirchennahe Verbände an einem Lohndumping beteiligen, dass Menschen dazu zwingt zusätzliche staatliche Leistungen in Anspruch zu nehmen.

Mit freundlichen Grüßen

Christoph Strässer, MdB