Frage an Christoph Strässer von Daniel B. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Strässer,
als 24 jähriger Student würde es mich einmal interessieren, aus welchem Grund sie für das Gesetz für Internetsperren gestimmt haben. Welche Fakten haben Sie davon überzeugt?
Was sagen Sie zu der Meinung vieler Experten, dass die Sperren nachweislich sowieso unwirksam sind? Wieso macht man so etwas, wenn ich selbst meiner Oma erklären könnte wie man solche Sperren umgehen kann? Wieso verstärkt man nicht die Arbeit der Polizei solche Seiten abstellen zu lassen? Wäre das nicht effektiver und sinnvoller als solch ein unnötiges Gesetzt welches nur unnötig Kosten auf Seiten der Provider verursacht?
Verschiedene Organisationen haben gezeigt, dass man >80% der Internetseiten innerhalb von 48h vom Netz nehmen kann, wobei meistens eine Nachricht den Webseitenanbieter ausreicht! Ach stimmt es nicht, dass viele Seiten im außereuropäischen Ausland gehostet werden! Wegen der guten Netzanbindung werden hauptsächlich westliche Staaten verwendet und die haben doch alle Gesetze gegen Kinderpornografie! Wieso nutzt man das nicht effektiver?
Mit freundlichen Grüßen
Daniel Bauer
Sehr geehrter Herr Bauer,
vielen Dank für Ihre Anfrage vom 24. Juni 2009.
Das „Gesetz zur Bekämpfung von Kinderpornografie im Internet“ wird von vielen Kritikern als Zensur diffamiert. Ich sage bewusst „Diffamierung“, weil allein diese Kategorisierung jede vernünftige Auseinandersetzung über den Inhalt des Gesetzes, der an anderer Stelle in der Tat problematisch ist, verhindert.
Der Zensurbegriff wird seit der Existenz des Grundgesetzes von Kommentaren und dem Bundesverfassungsgericht eindeutig definiert: Danach ist Zensur eine einschränkende Maßnahme vor der Herstellung oder Verbreitung eines Geisteswerkes, insbesondere das Abhängigmachen von behördlicher Vorprüfung und Genehmigung seines Inhalts. Wenn man sich ernsthaft mit dem verabschiedeten Regelungsgehalt auseinandersetzt, kann dieser Vorwurf sicherlich nicht aufrecht erhalten werden. Es ist sicherlich allen Diskussionsteilnehmern bekannt, dass auch Art. 5 unseres Grundgesetzes, der nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine überragende Bedeutung für das Funktionieren unserer demokratischen Verfassung hat, nicht schrankenlos gilt sondern nach Abs. 2 seine Schranken findet in den „Vorschriften der allgemeinen Gesetze….“ So klar die Meinungsäußerungsfreiheit für Betrieb und Nutzung des Internets gilt, so klar gelten natürlich auch die Schranken – wie bei jedem anderen Medium auch.
Vor diesem Hintergrund stellen sich m.E. ganz andere Fragen als die einer „Zensur“, denn es geht ganz wesentlich darum, einen strafbaren Sachverhalt nämlich den Besitz, die Herstellung und Verbreitung von Materialien mit kinderpornografischem Inhalt, wirksam zu bekämpfen. Das ist nicht nur das Recht, sondern die Pflicht des Staates und damit auch der Legislative.
Die für mich entscheidende Frage dabei war und ist, ob die beschlossenen Maßnahmen geeignet sind, der Erreichung dieses Ziels mit verhältnismäßigen Mitteln näherzukommen. Und hier habe ich meine Zweifel: Dabei ist das Gesetz im Beratungsverfahren noch so verändert worden, dass ausdrücklich, wie von vielen Sachverständigen und usern gefordert, das Prinzip „Löschen vor Sperren“ ausdrücklich aufgenommen worden ist. Auch ist die Forderung, dass die Priorität bei der Strafverfolgung liegen muss, eine Selbstverständlichkeit. So hat es in den letzten Jahren einen vermehrten Ausbau beispielsweise von Schwerpunktstaatsanwaltschaften gegeben, auch die Strafandrohung in den einschlägigen Bestimmungen des StGB ist deutlich verschärft worden. So kann es bei der Frage der Sperrung letztlich nur um solche Sachverhalte gehen, bei denen weder die Strafverfolgung erfolgversprechend ist (z.B. weil der Täter im Ausland wohnt und für die deutschen Ermittlungsbehörden nicht erreichbar ist) oder eine Löschung nicht möglich ist, weil ein Zugriff nicht möglich ist. Nur bei einem solchen Sachverhalt ist das Instrument der Sperrung überhaupt anwendbar.
Die von mir beklagte Schwachstelle besteht aber nun darin, dass diese Mittel offenbar mit einiger Kenntnis umgangen werden kann und dann diese Instrument nicht wirksam werden kann. So gibt es Infos, dass „Experten“ eine Sperre in ca.29 Sekunden umgehen und dann doch auf die inkriminierte Seite gelangen können. Auch das gewählte Mittel der rechtsstaatlichen Kontrolle, angesiedelt beim Bundesbeauftragten für den Datenschutz, überzeugt mich nicht wirklich.
Dennoch habe ich dem Gesetz aus 2 Gründen letztendlich zugestimmt: Kinderpornografie ist ein Vorgang, der die Menschenwürde der missbrauchten Kinder auf Dauer und oft irreparabel zerstört. Auch diese Erkenntnis legitimiert eindeutig nicht jedes eingesetzte Mittel, aber wenn es unter Wahrung rechtsstaatlicher Standards gelingt, hier auch nur 10% der potentiellen Nutzer abzuhalten, sollte dies getan werden. Und mein 2. Grund zur Zustimmung leitet sich daraus ab: Wir haben das Gesetz mit einem „Verfallsdatum“ von 3 Jahren versehen. 2 Jahre nach Verabschiedung beginnt eine grundlegende Evaluierung des Gesetzes. Sollten sich die Befürchtungen bestätigen, dass es keinen nachhaltigen Effekt bei der Bekämpfung der Verbreitung von Kinderpornografie im Internet entfaltet, ist es wieder außer Kraft zu setzen.
Mit freundlichen Grüßen
Christoph Strässer