Frage an Christine Haderthauer von Michèle M. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrte Frau Haderthauer,
in Ihrer Pressemitteilung zum Flüchtlingsstreik am Münchner Marienplatz
vom 26.06.2013 fordern sie die Flüchlinge auf, ihren Hungerstreik sofort
zu beenden da wir "in einem Rechtsstaat leben", "wo man sich nicht
durch Hungerstreiks eine Vorzugsbehandlung erzwingen kann".
Hierzu folgende Frage: Inwiefern stellt die Gewährung grundsätzlicher
("rechtsstaatlicher") Bürgerrechte, konkret
* Abschaffung der Residenzpflicht
* Abschaffung der Lagerpflicht
* Recht zu Bleiben, Recht auf Bildung, Recht auf Arbeit,
Bewegungsfreiheit, Recht auf freie Wahl des Lebensortes
wie sie von den Flüchtlingen gefordert werden eine Vorzugsbehandlung im
Gegensatz zu anderen Bürgern Deutschlands dar?
Sehr geehrte Frau Moser,
die Hungerstreikenden hatten einzig die Forderung nach sofortiger Anerkennung als asylberechtigt. Die Äußerung „Vorzugsbehandlung“ bezog sich auf diese Forderung nach sofortiger Anerkennung als Asylberechtigter ohne Durchlaufen des hierfür vorgesehenen Verfahrens, wie dies von den Protestteilnehmern am Rindermarkt gefordert wurde. Gegenüber der sehr viel höheren Zahl der darüber hinaus im Verfahren befindlichen Asylbewerber hätte ein Eingehen auf diese Forderung eine Bevorzugung dargestellt. Die von Ihnen in Ihrer Anfrage genannten Punkte waren dagegen zu keiner Zeit Gegenstand der anlässlich der Protestkundgebung erhobenen Forderungen. Diese Punkte betreffen zudem bundesgesetzliche Regelungen, so dass ich insoweit nur auf den Bund verweisen kann.
Grundsätzlich ist zu Ihrem Vorbringen festzustellen, dass die bisherige Zugangsentwicklung seit Anfang des Jahres weiterhin einen hohen Zustrom an Asylbewerbern nach Deutschland und damit auch nach Bayern erwarten lässt. Aktuell wird der Zugang durch die zuständigen Bundesstellen auf 12.000 bis 15.000 Personen für Bayern in diesem Jahr eingeschätzt. Der in den letzten Jahren unerwartete und teilweise auch sprunghafte Anstieg konnte nur durch das Gesamtkonzept zur Unterbringung von Asylbewerbern der Bayerischen Staatsregierung in den letzten Jahren bewältigt werden. Hierzu gehört die Erweiterung der Kapazitäten in den bestehenden Aufnahmeeinrichtungen in Nürnberg und München sowie laufend in den staatlichen Gemeinschaftsunterkünften. Zusätzlich erfolgt die dezentrale Wohnungszuweisung durch die Kreisverwaltungsbehörden der Landkreise und kreisfreien Städte.
Der Ausbau von Unterkunftsplätzen ist aber nur ein Baustein von vielen. Gleichzeitig wurden Maßnahmen ergriffen, um den Aufenthalt in bestehenden staatlichen Unterkünften zu verkürzen. Mit der Umsetzung des sogenannten bayerischen Asylkompromisses können Familien, die im Erstverfahren vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge keinen Schutzgrund zugesprochen bekommen haben, in der Regel aus den Gemeinschaftsunterkünften ausziehen, soweit die unverzügliche Ausreise nicht erfolgen kann. Alle übrigen abgelehnten Asylbewerber dürfen vier Jahre nach Abschluss ihres behördlichen Erstverfahrens ausziehen. Mit dieser Gesetzänderung hat Bayern einen wichtigen Schritt zur zukunftsorientierten und familiengerechten Weiterentwicklung der bayerischen Asylsozialpolitik gemacht. Damit werden nicht nur Plätze für nachkommende Asylbewerber verfügbar, sondern es wird vielmehr auch dem Wunsch vieler Asylbewerber nach einer eigenen Wohnung Rechnung getragen. Asylbewerber, bei denen ein Asylrecht oder ein Schutzgrund anerkannt wurde (2012 waren dies rund 28 %) sind nicht verpflichtet, in Gemeinschaftsunterkünften zu leben (sogenannte „Fehlbeleger“). Sie fallen nicht mehr unter den Geltungsbereich des Asylbewerberleistungsgesetzes, sondern des SGB II und SGB XII. Aber auch abgelehnte Asylbewerber werden nicht auf Dauer auf Wohnraum in Gemeinschaftsunterkünften verwiesen. Zudem besteht schon seit Jahren für Asylbewerber, die ihren Lebensunterhalt aus eigenem Erwerbseinkommen oder Vermögen bestreiten oder wenn medizinische oder familiäre Gründe vorliegen, die Möglichkeit in eine Privatwohnung zu ziehen (vgl. Art. 4 AufnG). Begleitet wird die Ausweitung der Auszugsmöglichkeiten durch das Modellprojekt „Fit for move“ mit dem Ziel der Förderung der Mietbefähigung.
Voraussetzung für einen Auszug aus einer Unterkunft ist jedoch, wie bei den schon ausgezogenen anerkannten oder auch abgelehnten Asylbewerbern, die in Bayern bereits in Privatwohnungen wohnen, dass sie eine Wohnung finden. Aktuell wohnen in den bayerischen Gemeinschaftsunterkünften ca. 1.300 sog. „Fehlbeleger“, also Personen mit einer anerkannten Asylberechtigung, die nicht mehr in Gemeinschaftsunterkünften leben müssten. Sie können eine Wohnung nehmen und aus der Gemeinschaftsunterkunft ausziehen. Das entspricht einer Quote von 12,4 % aller Bewohner in Gemeinschaftsunterkünften. Darüber hinaus beschränken sich die Maßnahmen, die in dieser Legislaturperiode getroffen wurden, nicht nur auf den Bereich „Wohnen“. So wurde die von Ihnen angesprochene, sog. Residenzpflicht gelockert; es besteht jetzt Bewegungsfreiheit im gesamten Regierungsbezirk und z.T. in den angrenzenden Landkreisen. Das Bildungs- und Teilhabepaket für Asylbewerberkinder wird in Bayern umgesetzt, obwohl der Bundesgesetzgeber diesen Personenkreis bisher ausgenommen hat. Am 20.03.2013 hat der Bayerische Landtag auf Initiative der Regierungskoalition beschlossen, die Weiterentwicklung der bayerischen Asylsozialpolitik auch auf den Erwerb der deutschen Sprache auszudehnen und künftig den Asylbewerbern Zugang zu Deutschkursen zu ermöglichen. Mit der Förderung der Deutschkurse soll noch 2013 begonnen werden.
All diese Maßnahmen zeigen, dass die Bayerische Staatsregierung die Asylsozialpolitik stetig weiterentwickelt und an die aktuellen Gegebenheiten anpasst.
Mit freundlichen Grüßen
Christine Haderthauer