Frage an Christine Haderthauer von Michelle S. bezüglich Jugend
Sehr geehrte Frau Haderthauer,
ich habe mich jetzt lange mit dem Thema Bildung für Kinder auseinandergesetzt. Ich komme zu dem Entschluss, dass Bildung für unsere Kinder ein wertvolles Gut ist, aber überfordern wir denn unsere Kinder und Jugendliche nicht zu sehr? Immer häufiger haben sogar Kinder schon Depressionen oder sogar ein Burn out Syndrom. Sie leiden darunter fast keine Zeit mehr für ihre Familie, Freunde oder auch für sich zu haben. Denn ganzen Tag sitzen sie in der Schule, (das wird sicher sich noch verstärken, wenn die Ganztagsschule zum Regelfall wird), danach wird noch für die nächste Klausur gelernt oder Referate vorbereitet. Wo bleibt aber das Kindsein, wann sollten Kinder denn spielen, Sport treiben oder einfach mal was mit Freunden oder der Familie unternehmen. Durch die Einführung des G8 in Bayern, ist der Druck auf die Schüler noch größer geworden. Fast die gleiche Menge zum Lernen in einer begrenztener Zeit. Was sagen Sie dazu?
Mit freundlichen Grüßen
Michelle Schindler
Sehr geehrte Frau Schindler,
zu Ihrer Frage der Überforderung von Kindern durch unser Bildungssystem nehme ich als Familien- und Arbeitsministerin gerne Stellung.
Der zeitliche Umfang unseres heutigen Bildungssystems - von der Kleinkindbetreuung in der Krippe bis hin zur Ganztagsschule - trägt unter anderem der Tatsache Rechnung, dass Eltern, die beide erwerbstätig sein wollen oder müssen, auf ein Betreuungs- und Bildungsangebot angewiesen sind. Kinder brauchen mehr Zeit mit der Familie und deshalb brauchen sie vor allem Eltern, die sich mehr Zeit für ihre Kinder nehmen können. Viele Eltern fühlen sich heute zerrieben zwischen Beruf und Familie. Um hier Druck herauszunehmen, muss die Arbeitswelt familiengerechter werden. Dazu gehört, dass die zeit- oder teilweise Zurückstellung des Berufs nicht auf das berufliche Abstellgleis führen darf.
Mehr Zeit für und mit der Familie ist vor allem auch in den ersten Lebensjahren eines Kindes unersetzlich. Viele Eltern verspüren heute einen enormen Bildungsdruck, ihren Kindern beste Chancen mit auf den Lebensweg zu geben. Von vielen Seiten wird heute Eltern die Botschaft vermittelt, Erziehung sei nur etwas für Profis und das beste, was man für die Entwicklung der Kinder tun könne, sei, es möglichst früh und umfangreich in Fremdbetreuung zu geben. Damit rückt die fundamentale Bedeutung der Eltern für ihre Kinder oft in den Hintergrund. Zudem ist der „richtige“ Zeitpunkt für die Kita von Kind zu Kind unterschiedlich. Mir ist es deshalb wichtig, Eltern wieder mehr Gefühl für die eigene Bedeutung zu geben und gerade die Lebensphase gesellschaftlich zu stützen, in der die persönliche Erziehung und Begleitung der Kinder durch ihre Eltern im Mittelpunkt steht.
Damit der Besuch der Kindertageseinrichtung keine Überforderung für Kinder bedeutet, kommt es auf den richtigen Zeitpunkt und den Umfang der Betreuung an. Eltern gehen hier in aller Regel sehr verantwortlich um. Anders als in der Schule beruht die pädagogische Arbeit der Kindertageseinrichtungen darauf, aus eigenem Antrieb etwas selbst zu tun. Auch durch die gute Begleitung von Übergängen, etwa durch die schrittweise Eingewöhnung in die Kita bzw. durch die Kooperation mit der Grundschule, werden mögliche Belastungen abgefedert.
Ob Schule, speziell das G 8, als Belastung empfunden wird, ist individuell sehr verschieden, wie auch viele Berichte von Schülern selbst zeigen. Natürlich können Schülerinnen und Schüler überfordert sein, aber dann stellt sich auch die Frage, ob die richtige Schulart gewählt wurde. Grundsätzlich greift es jedoch zu kurz, Krankheitsbilder von Kindern und Jugendlichen ausschließlich mit unserem Bildungssystem in Verbindung zu bringen. Denn hinter Depressionen oder Burn-out steht auch bei jungen Menschen meist ein komplexes Ursachengeflecht. Schule kann ein Faktor sein - aber einer von vielen möglichen.
Mit freundlichen Grüßen
Christine Haderthauer