Frage an Christiane Schneider von Gerhard R. bezüglich Bildung und Erziehung
Sehr geehrte Frau Schneider,
Frau Dora Heyenn teilte unter http://www.abgeordnetenwatch.de/dora_heyenn-131-16041--f240468.html#q240468 mit:
"Die privilegierte Einflussnahme der Jugendoffiziere auf minderjährige Schüler und Schülerinnen ist mit den Grundsätzen der politischen Bildung an Schulen nicht zu vereinbaren".
Aus meinem Bekanntenkreis weiß ich: Immer mehr Eltern lehnen Kontakte ihrer Kinder mit einem Jugendoffizier ab. Es folgt ein konstruierter Fall:
Mutter an Lehrer: Ich will nicht, daß mein Sohn an einem Unterricht teilnehmen muss, in dem ein Jugendoffizier erscheint. Mein Kind wird gewaltfrei erzogen und ich erwarte, daß diese Gewissensentscheidung die Befreiung von der Teilnahmepflicht zur Folge hat.
Lehrer: Die Teilnahmepflicht am Unterricht muß Vorrang haben.
Danach der Rektor zur Mutter: Die Entscheidung des Lehrers ist richtig, weil an meiner Schule die Grundsätze für die politische Bildung beachtet werden.
Mutter an Rektor: Wie wird für die Ausgewogenheit im Unterricht gesorgt? Wird jemand von einer Friedensorganisation anwesend sein? Falls nein: Wie hat sich der Lehrer über die Gründe für die Ablehnung von Auslandseinsätzen der Bundeswehr informiert? Wollen Sie, daß Andere sich mit unserem Problem beschäftigen?
Rektor: Ihr Sohn wird während der Anwesenheit des Jugendoffiziers am Unterricht der Parallelklasse teilnehmen.
Zum Fall: Ist dieser Gesprächsablauf realistisch? Sind auch Fälle denkbar, in denen der Rektor nicht einlenkt?
Mein Vorschlag: Alle Schulen informieren die Eltern nicht nur über das Erscheinen des Jugendoffiziers sondern auch über die Möglichkeit, sich ohne Begründung für einen Ersatzunterricht zu entscheiden. Wie beurteilen Sie diesen Vorschlag und werden Sie sich gfs. für die Umsetzung einsetzen?
Bei meinem Vorschlag bin ich davon ausgegangen, daß dieser die politischen Verhältnisse noch am meisten berücksichtigt.
Mit freundlichen Grüßen
Gerhard Reth
Sehr geehrter Herr Reth,
Ihre Kritik am Einsatz von Jugendoffizieren an Schulen teile ich voll und ganz. Meiner Meinung nach haben Jugendoffiziere in Schulen nichts zu suchen. Auch wenn sie offiziell die jungen Menschen nicht rekrutieren sollen, locken sie häufig doch mit den angeblich großartigen Möglichkeiten und Angeboten der Bundeswehr für junge Leute. Vor allem aber sollen sie die Meinungsbildung in Sachen Außen- und Sicherheitspolitik beeinflussen, z.B. für Zustimmung zum Bundeswehreinsatz in Afghanistan werben.
In Hamburg unterbreiten die Jugendoffiziere den Schulen einmal im Halbjahr ein Veranstaltungsangebot zum Themenbereich "Frieden und Sicherheit". Sodann hat die Bundeswehr 2008 im Gebiet des Wehrkommandobereichs I Küste 111 Veranstaltungen an Schulen mit insgesamt 2700 Schülerinnen und Schülern im Rahmen der "personalwerblichen Kommunikation" durchgeführt. Ob und inwieweit die Schulveranstaltungen für die Schülerinnen und Schüler verbindlich sind, entscheiden die Schulen selbst. Insofern lässt sich Ihre Frage nicht allgemein beantworten. Ich vermute - und hoffe! -, dass zumindest einige Schulen die Teilnahme nicht verpflichtend machen. Aber die Sache ist auch zweischneidig: Wenn die eher kritischen, einer strikten Friedenspolitik befürwortenden Schülerinnen und Schüler am Unterricht der Jugendoffiziere und Wehrdienstberater nicht teilnehmen, sind die verbleibenden Schüler den Jugendoffizieren und Werbern umso mehr ausgesetzt.
Sie sprachen die Grundsätze der politischen Bildung an Schulen an. Zu diesen Grundsätzen zählt seit dem sogenannten Beutelsbacher Konsens, mit dem 1976 Minimalbedingungen für politische Bildung festgelegt wurden, das "Gebot der Kontroversität" bzw. Ausgewogenheit: Danach muss den Schülern die freie Meinungsbildung ermöglicht werden. Der Lehrende muss ein Thema kontrovers darstellen und diskutieren, wenn es in der Öffentlichkeit kontrovers erscheint. Seine eigene Meinung und seine politischen und theoretischen Standpunkte sind dabei für den Unterricht unerheblich und dürfen nicht zur Überwältigung der Schüler eingesetzt werden.
Ich kann mir, ehrlich gesagt, nicht vorstellen, wie Jugendoffiziere die kontroversen Auffassungen etwa zum Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr darstellen und diskutieren. Das Mindeste, was im Sinne dieses Grundprinzips der politischen Bildung zu verlangen wäre, ist doch, dass mit dem Jugendoffizier auch ein Vertreter oder eine Vertreterin einer örtlichen Friedensorganisation eingeladen würde, in Hamburg z.B. des Hamburger Forums für Frieden und weltweite Abrüstung e.V.. Dafür setze ich mich ein, und deshalb werde ich den Senat in einer Schriftlichen Kleinen Anfrage dazu befragen, ob und wieweit dieses Prinzip und die weiteren Prinzipien des Beutelsbacher Konsenses an Hamburger Schulen und im Hinblick auf die Tätigkeit der Jugendoffiziere gelten.
Mit freundlichen Grüßen
Christiane Schneider