Frage an Christiane Schneider von Dirk S. bezüglich Recht
Sehr geehrte Frau Schneider,
Schanzenfest Nummer 2, in der Welt vom 14.09.09 steht folgendes zu lesen:
Sehr viel kritischer sieht Christiane Schneider (Linke) den Einsatz. „Bis um 1.20 Uhr war es ein friedliches Fest. Das änderte sich. Wenn aber vonseiten der Behörde Krawalle ankündigt werden, dann kommt es schließlich auch dazu“, stellt sie mit Blick auf die Einschätzungen vor dem Wochenende fest. Der Polizeieinsatz nach den Ausschreitungen vor der Polizeiwache sei „absolut unverhältnismäßig“ gewesen. Schneider fragt auch, warum es an der Polizeiwache an der Stresemannstraße, die angegriffen wurde, keinerlei Objektschutz gegeben habe. Das Gebäude sei nicht besonders gesichert gewesen, es habe kaum Licht gebrannt. Dies nennt sie „fast schon eine Einladung an Krawallmacher“.
Wie kann es sein, das eine unbewachte und unbeleuchtete Polizeidienstelle "fast eine Einladung" zur Krawalle ist?
Wie kann ein Einsatz der Polizei gegen 200 betrunkene Randalierer "absolut unverhältnismässig" sein?
Warum verurteilen Sie nicht den Übergriff auf die Polizeistation? Ist der etwa verhältnismässig, nur weil ein paar Politiker und Zeitungen die Randale Ihrer Meinung nach herbeigeschrieben haben?
Ich habe den Abend und in der Nacht Twittermeldungen verfolgt, niemand hat dort sein Wort gegen die Polizei erhoben, es wurden ausschliesslich die Krawallmacher scharf kritisiert und es wurde berichtet das die Anwohner immer wieder eingeschritten sind, wenn Kids Barrikaden bauen wollten.
Ich freue mich auf Ihre Antworten!
Mit freundlichen Grüßen
Dirk Schultz
Sehr geehrter Herr Schultz,
verständlicherweise druckt die "Welt" nur einen Ausschnitt meiner (relativ ausführlichen) Stellungnahme zum Schanzenfest, der, für sich genommen, recht verkürzt herüberkommen kann. Ich antworte Ihnen deshalb gerne so ausführlich, wie ich mich gegenüber der "Welt" und anderen Zeitungen geäußert habe.
Das Schanzenfest war absolut friedlich. Ich war selbst bis nach 1:00 Uhr anwesend, und habe die tolle, friedliche Stimmung mitbekommen. Es waren nach 22.00 Uhr bestimmt noch 2000 Menschen im Viertel, und auch um 1.00 Uhr noch viele hundert. Auch ich konnte, wie es die Presse beschreibt, beobachten, dass Versuche, Unruhe zu stiften, durch Spiele, witzige Aktionen, durch Diskussionen und durch die Aufforderung, friedlich zu bleiben, von den Teilnehmer/inne/n des Festes bis nach 1:00 Uhr im Keim erstickt wurden. Die Selbstorganisation der Schanzenbewohner/innen und Festbesucher/innen hat gut funktioniert. (Barrikaden hat übrigens bis dahin niemand zu bauen versucht.) Die Strategie der Polizei, sich vollständig im Hintergrund zu halten, halte ich ausdrücklich für richtig. Meine Kritik an der Polizeistrategie beim letzten Schanzenfest im Juli war gerade gewesen, dass sie durch frühes massives und konfrontatives Auftreten eine erhebliche Verantwortung für die Auseinandersetzungen getragen hat. Dieses Mal hat sie anders und meiner Meinung nach bis nach 1:00 richtig, nämlich nicht-konfrontativ agiert. Warum ist das Ganze am Ende doch noch so schiefgegangen? Innenbehörde und Polizei hatten vor dem Schanzenfest der Öffentlichkeit ihre Erwartung mitgeteilt, dass es zu Krawallen kommen werde, und leider hatte auch fast die ganze Medienberichterstattung im Vorfeld auf zu erwartenden gewalttätigen Auseinandersetzungen nach 22 Uhr - dem offiziellen Festende - abgehoben. Das erzeugt natürlich bei Leuten, die sich mal prügeln wollen, aber mit dem Schanzenfest sonst nichts zu tun haben, die Erwartungshaltung, ab 22.00 Uhr ginge da was ab. Man konnte nach 22 Uhr richtig beobachten, wie etliche, meist recht junge Heranwachsende, "mit den Füßen scharrten", und ich habe einige Burschen erlebt, die so um Mitternacht frustriert brüllten, wann es denn hier endlich losgehe. Wie gesagt, es ging lange nichts los, weil einfach zu viele Menschen, nämlich fast alle, das nicht wollten.
Ich weiß nicht, wie Sie darauf kommen, dass ich den Angriff auf die Polizeiwache nicht verurteile. Ich kann mich zu einem Vorwurf, der keine Grundlage hat, nicht recht verhalten. Da Sie meine Meinung interessiert, sage ich Ihnen, dass es für diesen Angriff keine Rechtfertigung gibt. Wer immer die Steine auf die Wache geschmissen hat, hat schließlich die gewalttätigen Auseinandersetzungen herbeigeführt. Allerdings hat mich schon gewundert, dass die Lerchenwache, bei der es beim letzten Schanzenfest ja auch einen heftigen Zwischenfall gab, fast vollständig im Dunkeln lag (es brannte, als ich gegen 23.00 Uhr durchs Viertel ging, dort nur ein ganz schwaches Licht, und Objektschutz war weit und breit nicht zu sehen). So wurde die Wache leichtes Ziel für Leute, die Krawall suchten, denn es ist völlig klar, dass ein Angriff auf eine Polizeiwache einen Polizeieinsatz herausfordert. Nach Augenzeugenberichten, die mir vorliegen, waren das übrigens keine 200, sondern sehr, sehr viel weniger. Das war keine organisierte Aktion einer großen Gruppe, sondern die Provokation eines kleinen Häufleins - das macht schon einen erheblichen Unterschied. Ich erinnere mich, dass die Polizei nach dem letzten Schanzenfest verbreitet hat, es seien Molotowcocktails geworfen worden, was sie in der Sondersitzung des Innenausschusses - das Wortprotokoll ist über die Parlamentsdatenbank zugänglich - dann dementieren musste. Insofern ist nicht alles zu glauben, was die Polizei verbreitet.
Die Polizei hat sich dann nicht darauf beschränkt, die Steineschmeißer zu verfolgen, was selbstverständlich ihre Aufgabe ist, sondern sie ist mit 7 (sieben) Wasserwerfern ins Viertel eingedrungen und hat die dort immer noch friedlich feiernden Leute attackiert, die größtenteils nicht einmal wussten, was vorgefallen war. Diese Polizeiaktion nenne ich unverhältnismäßig, und hier wird sich der Innensenator schon erklären müssen. Hätte sich die Polizei auf die Verfolgung der Steineschmeißer beschränkt, wäre der ganze Vorfall eine unschöne Episode am Rande geblieben, mehr nicht. Das Fest wäre friedlich zu Ende gegangen.
Alles in allem meine ich trotz der Auseinandersetzungen, die das Ende des Schanzenfestes überschatten, dass einiges klarer ist als zuvor. Die Befürchtung, dass "die Autonomen" das Schanzenviertel in Schutt und Asche legen, wenn die Polizei sich zurückhält, ist widerlegt. Das Schanzenfest ist ein tolles, friedliches Fest, das die Schanzenbewohner/innen sehr gut selbst organisieren und friedlich zu Ende bringen können, wenn man sie denn lässt. In diesem Sinne freue ich mich schon aufs nächste Mal.
Mit freundlichen Grüßen
Christiane Schneider