Frage an Christiane Schneider von Jan T. bezüglich Recht
Sehr geehrte Frau Schneider
bezüglich der Krawalle in der Nacht des Schanzenfestes werden Sie von der Welt mit folgenden Worten zitiert:
Einzig die Linke nimmt eine andere Haltung zum Schanzenfest ein: Die Links-Innenexpertin Christiane Schneider spricht von „unprovozierter Polizeigewalt“ gegenüber friedlichen Demonstranten und der gewaltsamen Unterdrückung „politisch unliebsamer Lebensäußerungen“.
Entnehme ich Ihren Äußerungen, dass sie vermuten, dass die extra aus Berlin mit Sprengsätzen angereisten Autonomen in ihrem Treiben lediglich durch die Präsenz der Polizei zu ihren Taten verleitet wurden und dass ursächlich die Schuld an den schweren Krawallen bei der Polizei zu suchen ist.
Ich würde gerne wissen, wie Sie sich zu diesen Gewaltexzessen einzelner (welchen Spektrums auch immer diese angehören mögen) gegenüber fremdem Eigentum und dem Laib und Leben anderer positionieren.
mfg
Jan Thordsen
Sehr geehrter Herr Thordsen,
das Schanzenfest hatte gerade in diesem Jahr einen ausgesprochen politischen Charakter. Es richtete sich gegen die Umstrukturierung des Schanzenviertels, die dazu führt, dass preisgünstiger Wohnraum verschwinden, Wohnungen luxussaniert und z.B. in Eigentumswohnungen verwandelt werden, dass Menschen, die sich Luxuseigentumswohnungen oder superteure Mietwohnungen nicht leisten können, aus dem Viertel verdrängt werden, dass kleine Geschäftsleute, die z.T. seit ewigen Zeiten dort ansässig waren, aufgrund horrender Mietsteigerungen ihre Geschäfte aufgeben müssen und Geschäfte dort einziehen, die sich an eine bestimmte geldschwere Klientel richten, für die das Viertel damit noch lukrativer und anziehender wird usw.usw. Hier ist eine Spirale in Gang gesetzt, die man aus anderen Stadtteilen Hamburgs und aus allen Metropolen der Welt kennt.
Ich habe das Schanzenfest als eindrucksvolle Äußerung von Bewohner/inne/n des Schanzenviertels, von Initiativen und einzelnen Personen, erlebt, die sich mit dieser Entwicklung nicht abfinden und ihre Lebenswelt, ihr Viertel, verteidigen. Das Fest, an dem bis zu 10.000 Menschen teilnahmen, war bis zu seiner Auflösung durch den Polizeieinsatz vollständig friedlich.
Ich bestreite nicht, dass es Menschen gab, die auf eine Auseinandersetzung mit der Polizei aus waren. Meine Position dazu habe ich deutlich artikuliert: Gewalt löst die gesellschaftlichen Probleme in dieser Stadt nicht.
Tatsache ist jedoch, dass der Innensenator schon vor Monaten mit seiner Ankündigung, das traditionelle und traditionell friedliche Fest verbieten zu wollen, den Konflikt gesucht hat. Tatsache ist, dass die bekannt gewordene Videoüberwachung des Viertels durch die Polizei viel berechtigten Zorn hervorgerufen hat. Tatsache ist, dass die Polizei am Tag des Festes ab 18.00 Uhr mit geschlossenen Einheiten aufmarschiert ist, dass sie sich nicht darauf beschränkt hat, sich an den Rändern des Festes aufzustellen, sondern dass die Einsatzleitung ständig starke Polizeitrupps mitten durchs friedliche Fest geschickt hat. Haben Sie eine Vorstellung, wie es in einem kleinen Viertel aussieht, das von 1.800 Polizeibeamten, fünf Wasserwerfern, Räumfahrzeugen etc. regelrecht belagert ist?
Innensenator Ahlhaus ist stolz auf die neue Polizeistrategie, früh und in großer Stärke einzugreifen. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verpflichtet die Polizei jedoch auf Deeskalation und Kooperation. Eine Strategie nach dem Motto: Angriff ist die beste Verteidigung ist damit nicht zu vereinbaren, das ist eine Eskalationsstrategie. Sie führte zu einer gewaltsamen Beendigung des – wie gesagt: bis dahin absolut friedlichen – Festes und zu einer bitteren Bilanz: über 80 Polizeibeamte und eine hohe, unbekannte Anzahl anderer Verletzter. In den letzten Jahren, als die Polizei nicht in das Fest eingegriffen hat, gab es deutlich weniger Verletzte, 2007 wurden acht verletzte Polizeibeamte gemeldet, 2008 zwölf. Ich sehe einen Zusammenhang zwischen der genannten Polizeistrategie und den hohen Verletztenzahlen und heftigen Auseinandersetzung. Worin der „Erfolg“ dieser Strategie liegt, weiß allein der Innensenator. Von „Erfolg“ zu sprechen, ist angesichts der Ereignisse und der genannten Ergebnisse zynisch.
Gewalt ist für alle, die sie erleiden, sei es an Leib und Leben, sei es an ihrem Eigentum, eine schreckliche Erfahrung. Deshalb lehne ich Gewalt – außer für eindeutige Situationen der Verteidigung, wie sie etwa das Grundgesetz beschreibt – ab. Das zu Ihrer Frage an mich.
Das hindert mich aber nicht, unverhältnismäßige Polizeigewalt, wie ich sie an diesem Abend, in dieser Nacht erlebt habe und wie sie etwa auch in unzähligen Videos auf YouTube dokumentiert ist, abzulehnen. Es sind inzwischen einige Fälle von Polizeiübergriffen z.B. auf Journalisten bekannt geworden, Sie haben vielleicht von dem Fall eines Journalisten gehört, dem ein Polizist vor der St.-Pauli-Fan-Kneipe sozusagen im Vorbeigehen vier Schneidezähne ausgeschlagen hat. Ich habe Zeugenberichte gehört, dass die Wasserwerfer ihren starken Strahl ohne Rücksicht auf Verluste in Restaurants gehalten haben und die Folgen davon teilweise in Augenschein genommen. Ich habe ein Video gesehen, in dem der harte Strahl eines Wasserwerfers eine ältere Frau, die im Außenbereich eines Restaurants saß, voll ins Gesicht trifft. Ich habe selbst gesehen, wie Polizisten Restaurantgäste mit Gewalt von den Bänken gezogen und weggedrängt haben. Ich könnte diese Reihe lange fortsetzen.
Vielleicht verstehen Sie, dass meine Fraktion und ich nicht bereit sind, solche Entwicklungen, eine solche Polizeistrategie hinzunehmen, da wir unsere Aufgabe der Kontrolle der Exekutive ernst nehmen und da für uns die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger der Maßstab sind, an dem sich staatliches Handeln messen lassen muss. Die Polizei hat die Aufgabe, Straftaten zu verhindern und Straftäter zu fangen. Durch das Aufmischen eines friedlichen Festes hat sie den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebrochen. Das ist meine Kritik.
Mit freundlichen Grüßen
Christiane Schneider