Frage an Christian Lange von jens m. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Seh geehrter Herr Lange,
ich weiß nicht wie Sie den Bundeswehreinsatz in Afganistan sehen, es verwundert aber doch dass die SPD in ihrem Willen zum Kriegstreiben nicht mehr zu stoppen ist. Gestern hörte ich dass der Einsatz mindestens noch 10 Jahre andauern soll. Frage sind Politiker lernunfähig oder wie kann es dazu kommen dass man die Fehler der Briten und der UDSSR unbedingt wiederholen muß.?.
Sehr geehrter Herr Müller,
vielen Dank für Ihre Anfrage vom 11. März 2007. Ich habe mich dazu entschieden, dem Aufklärungseinsatz deutscher Tornados im Süden Afghanistans am vergangenen Freitag im Deutschen Bundestag zuzustimmen – auch wenn ich gleichwohl Verständnis für Ihre Befürchtung und die vieler Bürgerinnen und Bürger habe, dass dieser Aufklärungseinsatz Deutschland verstärkt in eine kriegerische Auseinandersetzung hineinziehen könnte.
Aber die immer noch angespannte Gefährdungslage vor allem im Süden des Landes erfordert die Bereitstellung ausgewählter militärischer Fähigkeiten für die Bekämpfung des Terrors und zum Schutz unserer Soldatinnen und Soldaten. Seit dem letzten Jahr hat sich die Anzahl der Selbstmordattentate in Afghanistan verfünffacht. Die gewaltbereite Opposition, regionale „War-Lords“ und die organisierte Kriminalität sind immer noch bestimmende Faktoren für die Sicherheitslage in Afghanistan.
Nach wie vor sickern militante Taliban-Anhänger über die 2.400 Kilometer lange Grenze zu Pakistan ein. Diese stellen nicht nur für die Soldatinnen und Soldaten der „International Security Assistance Fore“-Schutztruppe (ISAF) eine Gefahr dar – sie drohen auch die gesellschaftlichen, sozialen und ökonomischen Fortschritte für die Menschen im Land kaputt zu machen. Darüber hinaus fordern die Anschläge der Taliban-Kämpfer immer mehr zivile Opfer.
Mit der Bereitstellung der sechs bis acht „Recce-Tornados“ zur Luftaufklärung wird Deutschland einen Beitrag dazu leisten, dass vor allem der unsichere Süden des Landes über bessere Informationen über die aktuelle Gefährdungslage verfügt. Mehr Sicherheit und mehr Schutz liegen auch im Interesse des deutschen Kontingents in Nord-Afghanistan. Ganz klar ist: Wir haben für Afghanistan eine gemeinsame Verantwortung – es gibt keine getrennte Sicherheit im Norden und im Süden.
Die Aufklärungskapazitäten der Tornados sind unverzichtbar für eine aussichtsreiche Strategie am Boden. Mit diesem Einsatz werden die Informationen präziser und die Gefahr ziviler Opfer geringer. Der Schaden, der angerichtet wird, wenn versehentlich ein Dorf bombardiert wird oder eine Hochzeitsgesellschaft, ist nie wieder gut zu machen, wenn wir die Herzen der Bevölkerung in Afghanistan gewinnen wollen, in dem wir unter anderem die Sicherheitslage spürbar verbessern. Unser Ziel ist schließlich den Stabilisierungsprozess in Afghanistan voranzubringen und nicht die Konflikte zu verschärfen.
Zudem soll die internationale ISAF-Schutztruppe, die derzeit rund 33.000 Soldaten aus insgesamt 37 Staaten umfasst, die Autorität der gewählten Zentralregierung stärken und den Wiederaufbau des Landes voranbringen. Das gelingt aber nur in einem relativ sicheren Umfeld.
Natürlich wird eine enge Koordinierung zwischen beiden Operationen ISAF und dem Antiterrormandat „Operation Enduring Freedom“ (OEF) angestrebt, ja ist ausdrücklich erwünscht. Aufklärungsergebnisse der Tornados werden aber nur dann weitergegeben, wenn dies zur Erfüllung bzw. Unterstützung der ISAF-Operation oder zur Sicherheit von ISAF-Kräften erforderlich ist.
Die Bekämpfung der Gewalt in Afghanistan erfordert einen umfassenden und nachhaltigen Ansatz. Militärische Mittel sind dabei nur ein – allerdings unerlässliches – Element, das von polizeilichen, politischen, entwicklungspolitischen zivilgesellschaftlichen und wirtschaftlichen Maßnahmen begleitet werden muss.
Es liegt in unserem eigenen Interesse, dass Afghanistan nicht wieder die Basis und Ausbildungsstätte für militante, gewaltbereite Fanatiker wird. Dies hätte verheerende Auswirkungen nicht nur auf die gesamte Region, sondern auch auf die Sicherheit bei uns.
Abschließend möchte ich noch einmal darauf hinweisen, dass es sich beim Einsatz deutscher Aufklärungstornados nicht um einen aktiven Kriegseinsatz oder eine Ausweitung deutscher Truppen in den Süden Afghanistans handelt. Es werden keine deutschen Soldaten dorthin verlegt, sondern sie bleiben wie bisher in der von Deutschland kontrollierten Nordregion stationiert. Sie sind allerdings im Norden Afghanistans ebenfalls auf die Aufklärungsinformationen angewiesen, um ihren Dienst erfüllen zu können.
Im Übrigen hat die afghanische Regierung Deutschland durch die Anforderung der Aufklärungstornados explizit um Unterstützung geben, damit die nationale Regierung ihre Kraftanstrengung auf den Wiederaufbau des Landes und den Kampf gegen den Terrorismus fokussieren kann.
Ich hoffe Ihnen die Gründe für meine persönliche Entscheidung und die des Deutschen Bundestages verständlich erläutert zu haben und würde mich freuen, wenn der notwendige Aufklärungseinsatz deutscher Tornados auch auf Ihr Verständnis stoßen würde.
Ihren letzten Satz, dass die SPD „in Ihrem Willen zum Kriegstreiben nicht mehr zu stoppen ist“, möchte ich jedoch nicht unkommentiert stehen lassen. Das ist natürlich völliger Unsinn. Wir waren es, die vehement und aktiv gegen den Irakkrieg eingetreten sind – und das aus gutem Grund. Man kann den Einsatz im Afghanistan und den Irakkrieg nicht miteinander vergleichen: wenn wir uns nun aber aus Afghanistan zurückziehen würden, würde es den Sieg der Taliban bedeuten. Und das können wir alle sicherlich nicht wollen!
Mit freundlichen Grüßen
Christian Lange