Frage an Christian Hierneis von Karin S. bezüglich Bildung und Erziehung
Sehr geehrter Herr Hierneis,
aus dem Münchner Westen besuchen über 100 Schülerinnen und Schüler die Waldorfschule in Gröbenzell. Bis zur 4.Klasse bekommen wir die Fahrtkosten zur Schule erstattet, aber dann nicht mehr. Realschüler und Gymnasiasten bekommen jedoch bis zur 10.Klassen die Fahrtkosten bis zur nächstgelegenen Schule mit dem entsprechenden Schwerpunkt (Musisches Gymnasium, hauswirtschaftl. Zweig der Realschule usw.) erstattet.
Warum werden die Eltern von Schülerinnen, die eine staatlich genehmigte Schule besuchen in diesem Punkt benachteiligt und die freie Wahl der Schule durch ungleiche Kostenerstattung bestraft?
Nach meinen Informationen kann diese Schieflage der bayerische Landtag durch Aufnahme der staatlich genehmigten Schulen in das Schulwegkostenfreiheitsgesetz beheben. Ist das so und werden Sie sich gegebenenfalls dafür einsetzen?
Sehr geehrte Frau Schadde,
vielen Dank für Ihre Frage!
Dies ist nicht zwar nicht mein Spezialgebiet, ich gebe Ihnen aber hier meine rein pragmatische Einschätzung nach kurzer Recherche (mit den verwendeten Links im Text) wieder (hier hilft mir meine juristische Ausbildung):
Die rechtlichen Grundlagen sind Ihnen aufgrund Ihrer Fragestellung sicher bekannt, deshalb gehe ich hier vor allem auf das Urteil des BayVerfGH vom 7. Juli 2009 (zu finden unter http://openjur.de/u/477512.html ) ein, das aus meiner Sicht alle Umstände darstellt. In diesem Urteil wird festgestellt, dass der Staat grundgesetzlich zwar verpflichtet ist, private Schulen zuzulassen und dafür zu sorgen, dass diese auch bestehen bleiben können, aber nicht die Pflicht hat, sie im gleichen Umfange so zu fördern wie staatliche Schulen (in diesem Fall mit Schulwegekostenfreiheit). Unabhängig davon, was die Staatsregierung, die Mehrheit im Bayerischen Landtag oder jemand anderes von Waldorfschulen hält, ist es nach Beschlüssen der Kultusministerkonferenz möglich, nach 13 Jahren auf einer Waldorfschule das Abitur abzulegen ( http://www.kmk.org/bildung-schule/allgemeine-bildung/sekundarstufe-ii-gymnasiale-oberstufe/abitur/abiturpruefung-an-der-waldorfschule.html ). Also ist der Besuch einer Waldorfschule eine Möglichkeit, sich auf einen staatlich anerkannten Abschluss vorzubereiten. Also müssen Eltern oder Kinder nach meinem Rechtsverständnis die Wahlfreiheit haben, welche Schule sie in Vorbereitung auf einen staatlich anerkannten Abschluss wählen. Wenn es also möglich ist, sich auf verschiedenen Schulen auf einen staatlich anerkannten Abschluss vorzubereiten und es möglich ist, sich diese Schulen auszusuchen (Wahlfreiheit), dann ist es Aufgabe des Staates, diese Wahlfreiheit auch zu gewährleisten. Diese Wahlfreiheit wird aus meiner Sicht aber dadurch eingeschränkt, dass bei manchen zugelassenen Schulen die Schulwegekosten übernommen werden und bei anderen nicht. Das Urteil des BayVerfGH mag nach geltender Rechtslage korrekt sein, es sagt aber (und das wäre auch nicht möglich) nicht aus, dass der Freistaat die Schulwegekosten zu einer Waldorfschule nicht fördern darf, sondern nur, dass er - eben nach geltender Rechtslage - keine Pflicht zur Förderung hat. Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass der Freistaat Bayern die Kosten für die Schulwege zu einer Waldorfschule sehr wohl fördern kann, wenn er denn wollte. Da die derzeitige Situation mit der Nichtförderung aus meiner Sicht die Wahlfreiheit von Eltern und Schülern beschränkt und manche Kinder vielleicht sogar auf staatliche Schulen „zwingt“, auch wenn sie eigentlich eine andere Schule besuchen wollen (was wohl seitens der Staatsregierung und der derzeitigen CSU/FDP-Mehrheit im Landtag auch politisch so gewollt ist), halte ich es für politisch geboten, das Bayerische Schulwegkostenfreiheitsgesetz anzupassen und die Wahlfreiheit durch die Aufnahme von Waldorfschulen in das Schulwegkostenfreiheitsgesetz zu gewährleisten - völlig unabhängig davon, ob man Waldorfschulen schätzt oder nicht, denn darum geht es nicht. Es geht um gleiches Recht für alle Eltern und Kinder, egal für welche Schule sie sich entscheiden, wenn diese Schule den Schutz des Grundgesetzes genießt. Und dies ist bei Waldorfschulen unzweifelhaft der Fall (Art. 7 Abs. 4 GG).
Beste Grüße
Christian Hierneis