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Christel Happach-Kasan
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Frage von Sabine S. •

Frage an Christel Happach-Kasan von Sabine S. bezüglich Landwirtschaft und Ernährung

Dieses Thema kommt bezeichnenderweise inIhrer Liste gar ncht vor! Man muss ganz allgemein unter Land- und Forstwirtschaft posten...!

Gesetzesbrüche in der Nutztierhaltung

Sehr geehrte Frau Happach-Kasan,

laut Albert Schweitzer Stiftung für unsere Mitwelt wird in der industriellen Tierhaltung das Tierschutzgesetz regelmäßig gebrochen, weil bei Hühnern, Puten, Schweinen und Rindern routinemäßig Amputationen durchgeführt werden, die eigentlich nur in Ausnahmefällen erlaubt wären. Das Tierschutzgesetz erlaubt Amputationen wie das Abtrennen von Schnabelspitzen, Zehengliedern, Schwänzen und Hörnern sowie das Abschleifen von Eckzähnen nur im begründeten Ausnahmefall. Trotzdem werden diese Eingriffe routinemäßig und ohne Betäubung durchgeführt.

Eine Befragung von EU- und Bundestagsabegordneten ergab, dass sich diese bewusst sind, dass es immer wieder zu Verstößen gegen das Tierschutzrecht kommt. Man empfiehlt, diese zur Anzeige zu bringen. Das bringt allerdings nach etlichen Erfahrungen fast nie etwas: Trotz perfekt begründeter Strafanzeigen stellen Staatsanwälte die Ermittlungen regelmäßig ein und berufen sich dabei z.B. auf Amtsveterinäre, die auf Anfrage mitteilen, dass die betäubungslosen Amputationen Routinevorgänge seien. Dienstaufsichtsbeschwerden gegen dieses absurde Vorgehen laufen ins Leere.

Was unternehmen Sie, um diese Gesetzesbrüche abzustellen?

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Antwort von
FDP

Sehr geehrte Frau Stutterheim,

vielen Dank für ihre Fragen zur Umsetzung des Tierschutzgesetzes bei der landwirtschaftlichen Nutztierhaltung.

Im Jahr 2002 wurde der Tierschutz auf der Grundlage eines Gesetzesentwurfes der FDP-Bundestagsfraktion als Staatsziel im Grundgesetz verankert. Bereits 1992 hatte die FDP in der Gemeinsamen Verfassungskommission von Bundestag und Bundesrat sich dafür eingesetzt. Unser Vorschlag fand zwar bei den Beratungen eine absolute Mehrheit, scheiterte jedoch am Widerstand von CDU/CSU. Im Jahre 2002 konnte dann endlich die Änderung der Verfassung erfolgen.

Der Tierschutz ist somit eine allgemeine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Er ist unteilbar und gilt in gleicher Weise sowohl für die landwirtschaftliche Nutztierhaltung als auch die private Haltung von Heimtieren.

Der von Ihnen verwendete Begriff der „industriellen Tierhaltung“ ist nicht definiert. In Schleswig-Holstein, dem Bundesland, in dem ich lebe, hält ein Schweinemastbetrieb im Schnitt knapp 650 Schweine, ein Milchviehbetrieb im Schnitt knapp 70 Kühe (Bestandserhebung 2010). Dieses sind mittelständische Familienbetriebe, in denen der Landwirt gemeinsam mit seiner Familie und allenfalls wenigen Arbeitskräften den Betrieb bewirtschaftet. Im Vergleich der letzten Jahre zeigt sich, dass die Zahl der pro Betrieb gehaltenen Tiere kontinuierlich gestiegen ist. Darin spiegelt sich die Einkommenssituation in der Landwirtschaft wider. Die landwirtschaftlichen Einkommen sind trotz der Ausgleichszahlungen aus dem EU-Agrarhaushalt geringer als in vergleichbaren Gewerbebetrieben. Darin liegt die Motivation für die Erhöhung der Bestandsgrößen in der Tierhaltung. In der Geflügelhaltung sind bäuerliche Betriebe durch Verträge an Großunternehmen gebunden, produzieren entsprechend deren Vorgaben und geben dadurch einen Teil ihrer Selbständigkeit auf. Grundsätzlich ist die Bestandsgröße kein Maß dafür, in welcher Weise, Tierschutzstandards umgesetzt werden.

Die Landwirtschaft ist der einzige Wirtschaftsbereich, deren Regelungen die Länder auf die EU übertragen haben. Dazu gehören auch die Bestimmungen des Tierschutzes für die landwirtschaftliche Nutztierhaltung. Die FDP ist der Auffassung, dass Verbesserungen der Tierschutzstandards auf europäischer Ebene zu erfolgen haben. Nationale Alleingänge verbieten sich, weil sie die Wettbewerbsbedingungen beeinflussen und bei nachteiligen Auswirkungen dazu führen, die Tierhaltung aus dem jeweiligen Land zu vertreiben. Dadurch wird der Schutz der Tiere nicht befördert. Es muss deshalb das Ziel sein, auf EU-Ebene wissenschaftlich abgesicherte, hohe Tierschutzstandards verbindlich festzuschreiben. In der wissenschaftlichen Forschung zum Thema Tierschutz kristallisiert sich eine „umfassendere, integrative Herangehensweise heraus, die sich auf vier (gleichrangige) Schwerpunkte zur Beurteilung des Wohlbefindens landwirtschaftlicher Nutztiere stützt: Haltungssystem, Tierverhalten, Tiergesundheit und Managementpraxis.“ (1).

Sowohl die Bundesregierung wie auch die Europäische Kommission verfolgen das Ziel, den Verbraucherinnen und Verbrauchern in Europa eine freie Kaufentscheidung bei Fleisch und anderen Produkten tierischer Herkunft bezüglich des Tierschutzes zu ermöglichen. Die Kommission erarbeitet derzeit die zweite Strategie für Tierschutz und Tiergesundheit für den Zeitraum 2011-2015. Darin soll das Thema Tierschutzkennzeichnung ein wichtiger Teil sein. Notwendig ist, dass auf freiwilliger Basis nur ausgezeichnet werden kann, was einerseits deutlich über dem bisherigen Standard liegt und andererseits wissenschaftlich abgesichert und kontrollierbar ist. Ein solches Siegel hätte, vergleichbar mit dem Bio-Siegel, für interessierte Landwirte und Unternehmen vermutlich einen positiven Einfluss bei der Kaufentscheidung von interessierten Endverbrauchern. Eine Vorarbeit hierzu wird in Deutschland zur Zeit von der Universität Göttingen in Zusammenarbeit mit Landwirten und dem Tierschutzbund durchgeführt. (2)

Die Albert Schweizer Stiftung, auf deren Aussagen Sie sich beziehen, hat sich besonders bei dem Verbot der Käfighaltung von Legehennen engagiert. Bereits zum Ende 2009 ist in Deutschland anders als in allen anderen EU-Ländern die Käfighaltung verboten worden, während sie nach EU-Recht in den übrigen Ländern erst zum Ende diesen Jahres verboten wird. Während 2005 der Anteil der in Deutschland produzierten Eier an den hier verbrauchten Eier bei 70% lag, waren es im vergangenen Jahr noch 58%. An dieser Absenkung des Anteils an in Deutschland produzierten Eiern zeigt sich, dass das Verbot der Käfighaltung zahlreiche Betriebe zur Aufgabe bewegt hat. Das Beispiel macht ebenso deutlich, dass die Umsetzung strenger Tierschutzstandards in Deutschland nicht unbedingt auch dazu führt, dass mehr Tiere besser geschützt werden. Dies kann auch zur Folge haben, dass die Tierhaltung aus Deutschland in andere Länder abwandert, in denen vielfach der Tierschutz weniger Beachtung findet als bei uns.

Die von Ihnen angesprochenen, nicht-kurativen Eingriffe an Nutztieren, die nach dem Tierschutzgesetz nur im Ausnahmefall mit einer tierärztlichen Erlaubnis durchgeführt werden dürfen, halte ich in dem jetzt praktizierten Umfang für problematisch. Für alle landwirtschaftlichen Halter von Nutztieren gilt die nach § 2a Absatz 1 im Tierschutzgesetz erlassene Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung (TierSchNutztV). Dort sind beispielsweise Anforderungen zur Haltung von Schweinen, Kälbern, Lege- und Masthennen geregelt. Das Tierschutzgesetz regelt, unter welchen Bedingungen eine Betäubung durchgeführt werden muss.

Die Mehrzahl der Eingriffe erfolgt, um in der Tierhaltung gegenseitige Verletzungen bei den Tieren zu vermeiden. Hühner und Puten nutzen ihre Schnäbel, um Rangordnungen auszukämpfen. Für die Puten sind alternative Kürzungsmethoden der Schnäbel wie die Infrarotbehandlung in der Entwicklung. Schweine leiden wie im übrigen auch Pferde unter bestimmten Haltungsformen unter Langeweile. Eine die Beschäftigung fördernde Haltung kann das Kürzen der Schwänze bei Schweinen überflüssig machen. Die Enthornung der Kälber verfolgt außerdem das Ziel, Unfälle durch die Hörner beim Menschen zu vermeiden. Zwei Drittel der Unfälle durch Nutztiere (in jedem Jahr etwa 18 000) erfolgt in der Rinderhaltung.

Nicht-kurative Eingriffe kommen leider nach wie vor auch bei Heimtieren vor, z. B. Hunden.
So sind im Straßenbild noch immer Hunde mit kupierten Ohren oder Schwänzen zu beobachten, obwohl es für diese Praxis keinen vernünftigen Grund gibt und sie seit mehr als zwanzig bzw. zehn Jahren verboten ist.

Der Tierschutz in Deutschland hat ein sehr hohes Niveau. Dies gilt im Vergleich zu anderen EU-Mitgliedstaaten und vor allem zu Gesellschaften außerhalb Europas. Die Leistungen der heimischen Landwirte zur Verbesserung des Tierschutzes in den letzten Jahren sollten anerkannt werden. Zudem stehen Haltungs- und Managementsysteme gerade in der Verfolgung des integrativen Ansatzes des Tierschutzes ständig auf dem Prüfstand und werden an die Ergebnisse wissenschaftlicher Forschung angepasst. Landwirte heute haben einen sehr hohen Ausbildungsstand, der auch den Tierschutz einbezieht.

Mit freundlichen Grüßen
Christel Happach-Kasan

(1) Perspektiven für ein Europäisches Tierschutzlabel
http://www.bmelv.de/SharedDocs/Downloads/Ministerium/Beiraete/Agrarpolitik/StellungnahmeTierschutzlabel.pdf
(2)www.uni-goettingen.de/de/189455.html