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Christel Happach-Kasan
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Frage von Mirack t. •

Frage an Christel Happach-Kasan von Mirack t. bezüglich Wirtschaft

Wie stehen Sie zu Lobbyismus in der Politik ?

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Antwort von
FDP

Sehr geehrter Herr Mirack,

ich bedanke mich für Ihre Frage. Ich möchte allerdings bemerken, dass ich eine Frau bin.

Der Begriff Lobbyismus hat in Deutschland einen negativen Klang. Dennoch ist Lobbyismus ein notwendiger Teil der Demokratie.

Die Lobby ist im englischen Sprachgebrauch der Vorraum des Parlaments. Menschen, die sich dort aufhalten, sind Lobbyisten. Im Gegensatz zu den Parlamentariern müssen sie in der Lobby bleiben und dürfen den Raum, in dem das Parlament tagt, nicht betreten.
Lobbyismus ist Politikberatung und Interessenvertretung von einzelnen Gruppen zugleich. Die Schwierigkeit für Abgeordnete im Umgang mit Lobbyismus liegt in der Abgrenzung - wie weit reicht die notwendige Politikberatung und wo beginnt die spezielle Interessenvertretung.

Je mehr Geld bei einem Gesetzesvorhaben bewegt wird, umso mehr Lobbyisten bemühen sich um die Möglichkeit, ihren Standpunkt vorzutragen. Ansprechpartner sind die Abgeordneten wie auch die zuständigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Ministerien. Die Gesetze, die vom Parlament beschlossen werden, sind maßgeblich von den Ministerien geprägt, die sie vorbereiten.

Lobbyisten verfolgen Partikularinteressen verschiedenster Art. Unternehmensverbände, aber auch weltweit tätige Einzelunternehmen, Gewerkschaften, Berufsverbände, Kirchen, Nichtregierungsorganisationen, die in den verschiedensten Politikbereichen tätig sind, sind als Lobbyisten registriert. Beim Bundestag sind über 2000 Verbände registriert. Die Verbände arbeiten teilweise Hand in Hand, teilweise gegeneinander.

Politik ist die Organisation des Interessensausgleichs. Abgeordnete sind dem Gemeinwohl verpflichtet. Freilich: Das Gemeinwohl ist nichts anderes als das gewogene Mittel vieler Einzelinteressen. Das Parlament arbeitet nicht frei schwebend über den Bürgern und der Gesellschaft sondern mittendrin.

Lobbyisten verfügen oft über Spezialwissen. Die Mitglieder, die in ihren Verbänden organisiert sind, haben Erfahrung mit der Anwendung von Gesetzen. Sich dieses Wissen nutzbar zu machen, ist in einer zunehmend komplexeren Welt nicht nur sinnvoll, sondern auch notwendig. In den Anhörungen zu Gesetzesentwürfen wird dieses formalisiert. Sowohl die Ministerien führen solche Anhörungen durch als auch die Parlamentsausschüsse.

Der Umgang mit Lobbyisten ist notwendiges tägliches Handwerk jedes Abgeordneten.

Trotzdem verursacht das Wirken von Lobbyisten immer wieder auch Unbehagen. Es verlangt gut informierte und wache Abgeordnete. Es braucht Transparenz, um gegebenenfalls Abhängigkeiten oder Befangenheiten zu erkennen. Der Gesetzgeber hat einiges unternommen, um hier ein vertrauenswürdiges Verfahren zu finden. Neben der Registrierung von Lobbyisten möchte ich an die Veröffentlichungspflichten sowohl nach dem Abgeordnetengesetz, als auch nach dem Parteiengesetz erinnern. Eine kritische Öffentlichkeit und die Medien tun ein Übriges, um gegebenenfalls korrigierend einzugreifen.

Lobbyisten sind unterschiedlich erfolgreich, ihre Einzelinteressen zur Geltung zu bringen. Ich will ein Beispiel nennen: Deutschland verfolgt das Ziel, bis 2020 einen Anteil von 20% an erneuerbaren Energien am Primärenergieverbrauch zu erreichen. Ein Instrument ist das Erneuerbare Energien-Gesetz (EEG). Es gibt Rechtssicherheit z. B. für eine bestimmte Einspeisevergütung für 20 Jahre. In der letzten Legislaturperiode war auch die Förderung von Biokraftstoffen ein Instrument, dies Ziel zu erreichen. Es war beschlossen worden, Biokraftstoffe bis 2009 von der Mineralölsteuer zu befreien, um ihre Wettbewerbsfähigkeit gegenüber Treibstoffen auf Erdölbasis zu gewährleisten. Dennoch hat die schwarz-rote Koalition in ihrem Koalitionsvertrag beschlossen, Biokraftstoffe zu besteuern. Dieser Beschluss wurde umgesetzt, die Hälfte der zuvor aufgebauten Kapazität zur Produktion von Biokraftstoffen liegt brach, zahlreiche Unternehmen mussten Konkurs anmelden.

Lobbyismus hat in der Vergangenheit oftmals zu Überregulierungen geführt. Oft wird versucht, Einzelinteressen bis in das Detail in Gesetzen verankern zu lassen. Bekannt sind absurde Regelungen im Steuerrecht.

Ein besonders kurioses Beispiel aus einem anderen Bereich habe ich gerade in meinem Wahlkreis kennengelernt:

In Deutschland muss jedes Fahrrad mit einem Dynamo ausgestattet sein. Es gibt nur eine Ausnahme: Rennräder mit einem Gewicht unter 11 kg. Dynamos sind unzuverlässig und ein bisschen Steinzeittechnologie - besonders bei Fahrrädern, die mit einem Elektromotor ausgestattet sind, der über einen Akku mit Strom versorgt werden. Obwohl man mit dem starken Akku für den Motor vermutlich wochenlang die Straße ausleuchten könnte, muss zusätzlich ein Dynamo mit Reibrad aus Omas Zeiten montiert werden, der beim ersten Regen verlässlich den Dienst quittiert. Nur Rennräder brauchen keinen Akku. Das verwundert. Hartnäckig hält sich das Gerücht, dass dies auf den Lobbyismus eines ehemaligen SPD-Vorsitzenden zurückzuführen ist, der heute Präsident des Bundes Deutscher Radfahrer ist. Es ist an der Zeit, die entsprechende Vorschrift zu novellieren und sicher zu stellen, dass jedes Fahrrad bei Dämmerung und Nacht nur mit ausreichender Beleuchtung gefahren werden darf - egal, wo der Strom herkommt. Auf Anfrage habe ich von der Bundesregierung die Antwort erhalten, dass 2006 dies vom Bundesrat verhindert wurde - ich weiß allerdings nicht, warum. Lobbyisten neigen dazu, "nicht über den Tellerrand zu sehen". Diese Aufgabe, nämlich die Verantwortung für das Große und Ganze, kann dem Abgeordneten niemand abnehmen.

Als liberale Abgeordnete ermutige ich Bürgerinnen und Bürger, Unternehmen, Gewerkschaften, Kirchen und Verbände, sich einzumischen. Nur Interessen, von denen Abgeordnete wissen, können berücksichtigt werden. Deshalb muss die Antwort auf Ihre Frage an mich lauten: Mischen Sie sich ein, organisieren Sie sich in einer Partei, in einer Interessenvertretung oder Initiative. Letztlich sind wir Abgeordnete nur so gut, wie wir von Ihnen auf Probleme und mögliche Lösungen hingewiesen werden. Interessenvertretung in der freiheitlichen Demokratie ist nicht etwa anrüchig, sondern geradezu Bürgerpflicht.

Der Präsident des Bundesverfassungsgerichtes, Prof. Hans-Jürgen Papier, hat vor der Friedrich-Naumann-Stiftung hierzu einen bedenkenswerten Vortrag gehalten, den ich Ihnen empfehle: http://www.fnst-freiheit.org/webcom/show_article.php/_c-1692/_nr-2/i.html

Mit freundlichen Grüßen
Christel Happach-Kasan