Frage an Christel Hahn von Bruno K. bezüglich Wissenschaft, Forschung und Technologie
Sehr geehrte Frau Hahn,
ich bin seit 10 Jahren im Bereich Jungenförderung engagiert. Deshalb aus diesem Bereich meine Fragen an Sie:
1. Jungen haben heute schlechtere Bildungserfolge und schlechtere Zukunftsperspektiven als Mädchen. Trotzdem wird dieser Thematik in der politischen Praxis noch zu wenig Bedeutung beigemessen. Ist Ihrer Meinung nach die gezielte Förderung von Jungen im Bildungswesen für Europa ein wichtiges Thema und wenn ja, wie werden Sie sich dafür einsetzen?
2. In fast allen europäischen Staaten wurden die Pflichtdienste für Männer (Wehrpflicht, Zivildienst) ausgesetzt oder abgeschafft. In Deutschland ist man dazu noch nicht bereit. Sind Sie für den Beibehalt oder für die Abschaffung dieser Pflichtdienste?
3. Soll in Deutschland - so wie europaweit Standard - das gemeinsame Sorgerecht auch für nicht miteinander verheiratete Eltern ab Geburt ihres Kindes bzw. ab Vaterschaftsanerkennung eingeführt werden und sollten Kinder ein grundgesetzlich verankertes Recht auf Erziehung durch ihre beiden Eltern erhalten?
Für eine Antwort wäre ich dankbar.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Bruno Köhler
Sehr geehrter Herr Dr. Köhler,
um einen Punkt kurz vor der ausführlichen Antwort zusammenzufassen: die Newropeans engagieren sich für ein lebendiges Europa, das durch die Initiative seiner Bürger wächst und gestaltet wird, und nicht für die Illusion, dass man ein solcher Europa "herbeireglementieren" kann.
Nun zu Ihren einzelnen Fragen:
1) Im Programm der Newropeans gibt es ein Dokument mit dem Namen "Die Vorschläge der Newropeans zur europäischen Politik für den Bildungsbereich" ( http://www.newropeans.eu/spip.php?article=525?=de ). Darin steht, dass wir für eine "pro-aktive Politik im Bereich der Bildung" eintreten und nicht für das, was man "europäische Bildungspolitik" nennt. Das bedeutet konkret, dass wir durch eine Fortentwicklung des Erasmus-Programms die Grundlagen schaffen wollen, dass sich die Bürger auf europäischer Ebene aktiv einmischen können, dass wir aber nicht die Bildung zentral regulieren wollen:
"Newropeans unterstützt jedoch nicht eine "Europäische Bildungspolitik", die auf europäischer Ebene die Inhalte und Abläufe der Bildungsmöglichkeiten in Europa beeinflussen will. Dies fällt in den Einflussbereich nationaler, regionaler oder lokaler Gremien. Einer einzelnen Institution den Ablauf anzuvertrauen oder einen größeren Einfluss auf die Inhalte und Methodik in der Bildung für 500 Millionen Bürgerinnen und Bürger zu gewähren, wäre eine Gefährdung von Demokratie und Vielfalt."
Ihre Frage nach der gezielten Förderung von Jungen ist ein gutes Beispiel für dieses Prinzip. Wenn man z.B. die Situation an Schulen betrachtet, so muss, je nach Herkunft und Zusammensetzung der Schüler überlegt werden, welche Gruppen gezielt gefördert werden müssen. Die Institutionen, die für die einzelnen Schulen verantwortlich sind, müssen dafür sorgen, dass die Schulen dazu die Voraussetzungen haben (z.B. Ausbildung der Lehrer in Entwicklungspsychologie). Zentrale EU-Programme bringen hier keinen Zusatzgewinn.
Damit ist nicht gesagt, dass Ihr Anliegen nicht wichtig ist, aber derzeit besteht die Tendenz, alle "wichtigen" Anliegen nach Europa zu tragen und dies ist eine der Ursachen für die europäische Misere, und dies aus zwei Gründen: dem Demokratiedefizit beim Zustandekommen der europäischen Richtlinien und der Überregulierung bei deren Umsetzung.
Sie müssen aber einer Frau (und die bin ich) zugestehen, dass sie sich in erster Linie für die Auflösung der Folgen der jahrhundertealten Unterdrückung der Frauen (z.B. durch die katholische Kirche) einsetzt, ich sehe es als Aufgabe der Männer sich dann mit dem veränderten Rollenverhalten der Frau auseinanderzusetzen.
2) Dies sehe ich nicht als Europäische Frage. Ich werde sie hier aus deutscher Sicht beantworten, auch wenn das für die Europawahl nicht relevant ist. Ich persönlich bin gegen Berufsarmeen und außerdem für die Gleichstellung von Mädchen und Jungen. Ich tendiere also zur Einführung von Pflichtdiensten für alle, würde es aber für sinnvoll erachten, dazu die Betroffenen (Junge Männer und Frauen) zu befragen.
3) Das Prinzip, das sie beschreiben (gemeinsames Sorgerecht auch für nicht miteinander verheiratete Eltern ab Geburt ihres Kindes bzw. ab Vaterschaftsanerkennung) finde ich gut und besser, als das, was wir haben. Ich wehre mich aber gegen einen Zwang zur Harmonisierung in diesen Fragen. Solche Fragen müssen souverän vom Gesetzgeber in Deutschland entschieden werden. Was den zweiten Punkt betrifft (grundgesetzlich verankertes Recht auf Erziehung durch ihre beiden Eltern) so warne ich davor, den Grundgesetzkanon zu sehr auszuweiten, wie es derzeit von vielen Menschen mit guten Anliegen gefordert wird. Ein Grundgesetzkanon behält nur dann seine volle Schärfe und Durchschlagkraft, wenn er sich auf echte Grundrechte beschränkt.
Mit freundlichen Grüßen
Christel Hahn