Frage an Cemile Giousouf von Manuel B. bezüglich Innere Sicherheit
Hallo Frau Giousouf,
wie ist ihre Haltung zur Vorratsdatenspeicherung?
Hallo Herr Bunge,
gerne lege ich Ihnen meine Haltung zur Vorratsdatenspeicherung dar.
Bei der Aufklärung von Gewaltverbrechen wie Mord, Totschlag oder Vergewaltigung hilft die Vorratsdatenspeicherung in besonderem Maße. Das gleiche gilt bei der Verfolgung terroristischer Verbrechen, um Mitglieder terroristischer Netzwerke dingfest zu machen oder bei Verbrechen der Organisierten Kriminalität. Telekommunikationsverbindungsdaten spielen aber auch bei der Aufklärung von schweren Straftaten eine wichtige Rolle, bei denen das Internet als Tatmittel genutzt wurde, zum Beispiel bei der strafrechtlichen Verfolgung der Kinderpornographie. In diesen Fällen ist die aufgezeichnete IP-Adresse oftmals der erste und zunächst einzige erfolgversprechende Ermittlungsansatz für weitere Maßnahmen und daher unverzichtbar.
Meiner Meinung nach erzeugt der Begriff Vorratsdatenspeicherung allerdings ein völlig falsches Bild. Der Staat legt sich keinen Vorrat an Daten an. Vielmehr existieren diese Daten bei den Telefon- und Internetanbietern auch heute schon. Bei der Vorratsdatenspeicherung dürfen die Strafverfolgungsbehörden diese digitalen Spuren bei Tatverdacht unter hohen Anforderungen abrufen.
Wichtig ist, dass die konkreten gesetzlichen Ausgestaltungen den europa- und verfassungsrechtlichen Vorgaben entsprechen. Das Bundesverfassungsgericht hat Vorgaben gemacht, damit die Vorratsdatenspeicherung mit dem Grundgesetz vereinbar ist.
In seinem Urteil hatte das BVerfG eine Vorratsdatenspeicherung zwar nicht als von vornherein unvereinbar mit Art. 10 Abs. 1 Grundgesetz (GG) angesehen, jedoch die seinerzeit geplante konkrete Ausgestaltung für unverhältnismäßig und damit verfassungswidrig erklärt. In seiner Entscheidung erläutert das Gericht, unter welchen Maßgaben eine solche Speicherung mit Art. 10 Abs. 1 GG vereinbar sein kann:
Voraussetzung sei, dass die anlasslose Speicherung der Telekommunikationsverkehrsdaten eine Ausnahme bleibe und nur in einem engen zeitlichen Rahmen erlaubt werde. Eine Speicherungsdauer von sechs Monaten liege an der Obergrenze dessen, was unter Verhältnismäßigkeitserwägungen rechtfertigungsfähig sei.
Das Parlament müsse sicherstellen, dass die Entscheidung über Art und Maß der zu treffenden Schutzvorkehrungen nicht letztlich unkontrolliert in den Händen der jeweiligen Telekommunikationsanbieter liege. Eine Verwendung der vorsorglich gespeicherten Telekommunikationsverkehrsdaten komme angesichts des Gewichts der Datenspeicherung "nur für überragend wichtige Aufgaben des Rechtsgüterschutzes in Betracht." Für die Strafverfolgung sei daher zumindest der begründete Verdacht einer auch im Einzelfall schwerwiegenden Straftat erforderlich.
Verfassungsrechtlich geboten sei es zudem, "zumindest für einen engen Kreis von auf besondere Vertraulichkeit angewiesenen Telekommunikationsverbindungen ein grundsätzliches Übermittlungsverbot vorzusehen." Das Gericht erwähnt insoweit Verbindungen zu Anschlüssen in sozialen oder kirchlichen Bereichen. Die diffuse Bedrohlichkeit, die von der Vorratsdatenspeicherung ausgehe, müsse der Gesetzgeber "durch wirksame Transparenzregeln auffangen", indem er insbesondere verdeckte Verwendungen auf seltenste Extremfälle beschränke. Die Übermittlung und Nutzung der gespeicherten Daten sei grundsätzlich unter Richtervorbehalt zu stellen und durch eine nachträgliche gerichtliche Kontrolle sowie durch Sanktionen bei Rechtsverletzungen zu flankieren.
Weniger strenge verfassungsrechtliche Maßgaben entwickelt das Gericht für eine nur mittelbare Verwendung der vorsorglich gespeicherten Daten in den Fällen, in denen Behörden gegenüber den Diensteanbietern personenbezogene Auskünfte über den Inhaber bestimmter, bereits bekannter IP Adressen einholen. Da für solche Auskünfte nur ein kleiner Ausschnitt der Daten verwendet werde, könne der Eingriff unter deutlich geringeren Voraussetzungen und damit unabhängig von begrenzenden Straftaten oder Rechtsgüterkatalogen angeordnet werden.
Im Einzelnen fordert das Gericht hinreichend anspruchsvolle und normenklare Regelungen zur Datensicherheit, zur Begrenzung der Datenverwendung, zur Transparenz sowie zum Rechtsschutz. Schließlich enthält die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts auch Ausführungen zu den Anforderungen an die mittelbare Nutzung der Daten zur Identifizierung von IP-Adressen.
Auch europarechtliche Vorgaben sorgen dafür, dass die Vorratsdatenspeicherung nur in streng kontrolliertem Rahmen unter bestimmten Bedingungen möglich ist.
In seinem Urteil vom 8. April 2014 hat der Europäische Gerichtshof die Vorratsdatenspeicherungsrichtlinie mit allgemeiner Wirkung für von Anfang an ungültig erklärt, da sie mit der Charta der Grundrechte (GrCh) der Europäischen Union nicht vereinbar sei. Damit ist die in der Richtlinie enthaltene Umsetzungspflicht entfallen und das Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland hat seine Grundlage verloren. Die bisher in den einzelnen EU-Mitgliedsstaaten geschaffenen nationalen Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung werden davon aber nicht berührt und bleiben wirksam. Die Organe der EU können eine völlig neue Richtlinie beschließen.
Der EuGH hat die Vorratsdatenspeicherungsrichtlinie am Maßstab von Art. 7 GrCh (Achtung des Privat- und Familienlebens) und Art. 8 GrCh (Schutz personenbezogener Daten) geprüft und dabei festgestellt, dass der Unionsgesetzgeber beim Erlass der Richtlinie die sich aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ergebenden Grenzen überschritten habe. Aufgrund der Bedeutung der betroffenen Grundrechte sowie der Schwere des Eingriffs fordert der Europäische Gerichtshof klare und präzise Regeln für die Tragweite und Anwendung der fraglichen Maßnahme sowie die Aufstellung von Mindestanforderungen, die einen wirksamen Schutz der personenbezogenen Daten vor Missbrauchsrisiken sowie vor jedem unberechtigten Zugang zu diesen Daten und jeder unberechtigten Nutzung ermöglichen. Der Schutz des Grundrechts auf Achtung des Privatlebens verlange, dass sich die Ausnahmen vom Schutz personenbezogener Daten und dessen Einschränkungen auf das absolut Notwendige beschränken.
Der EuGH betont in seiner Entscheidung, dass eine Speicherung der Kommunikationsverkehrsdaten prinzipiell möglich sei und benennt dazu eine Vielzahl von einzelnen Aspekten. Er kritisiert insbesondere, dass sich die Richtlinie 2006/24 generell auf alle Personen und alle elektronischen Kommunikationsmittel sowie auf sämtliche Verkehrsdaten erstreckt, ohne irgendeine Differenzierung, Einschränkung oder Ausnahme anhand des Ziels der Bekämpfung schwerer Straftaten vorzusehen (Rdnr. 57). Der EuGH fordert, sowohl materielle als auch verfahrensrechtliche Kriterien für die Beschränkung des Zugriffs auf die Daten, wie etwa ein Richtervorbehalt oder unabhängige Kontrollstellen. Als weiterer Punkt wird bemängelt, dass die Richtlinie bei der Speicherdauer nicht nach Datenkategorien in Hinblick auf ihren Nutzen für die Zielerreichung differenziert und keine ausreichenden Anforderungen an die privaten Telekommunikationsunternehmen hinsichtlich des Schutzes der gespeicherten Daten vor Missbrauchsrisiken und vor unberechtigtem Zugang sowie unberechtigter Nutzung enthalte.
Wenn wir sehen, wie die EU-Staaten mit der Vorratsdatenspeicherung umgehen, so fällt auf, dass sämtliche Mitgliedstaaten Gesetze zur Umsetzung der Vorratsdatenspeicherungsrichtlinie erlassen haben. Diese wurden jedoch teilweise von den jeweiligen Verfassungsgerichten der Mitgliedstaaten wieder aufgehoben, teilweise haben die nationalen Gesetzgeber hierauf wieder reagiert. Klagen gegen die nationalen Umsetzungsgesetze wurden in Bulgarien, Irland, Deutschland, den Niederlanden, Österreich, Polen, Rumänien, der Slowakei, Slowenien, Tschechien, Ungarn und Zypern erhoben. Angesichts dieser Gerichtsverfahren und der Frage, wie die einzelnen Mitgliedstaaten auf die Aufhebung der Vorratsdatenspeicherungsrichtlinie durch den Europäischen Gerichtshof reagieren werden, kann an dieser Stelle der aktuelle Stand der Umsetzung der Richtlinie nicht abschließend beurteilt werden.
Im Koalitionsvertrag wurde 2013 festgeschrieben, dass die EU-Richtlinie über den Abruf und die Nutzung von Telekommunikationsverbindungsdaten umgesetzt werden soll. Durch den Wegfall der Richtlinie nach der Entscheidung des EuGH sind die Koalitionspartner nun gehalten, für eine wirksame Strafverfolgung ein nationales Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung zu verabschieden.
Das eine gesetzliche Regelung notwendig ist, hat man m.E. sehr drastisch bei der Aufklärung der Ereignisse im Zusammenhang mit der Ermordung von Mitarbeitern der Zeitschrift "Charlie Hebdo", von zwei Polizeibeamten und von Kunden in einem jüdischen Supermarkt im Januar 2015 in Frankreich vor Augen geführt bekommen. Wenn man hier dieses wirksame Mittel zur Aufklärung von Tatzusammenhängen und Terror-Netzwerken mit der Auswertung von gespeicherten Verbindungsdaten nicht hätte nutzen können, hätte man die Aufklärung ohne Not erschwert.