Frage an Cem Özdemir von Susan S. bezüglich Soziale Sicherung
Ich bin aufgrund eines Krankheitsfalls in meiner Familie im letzten Jahr mehrere Wochen mit der Alltagssituation eines Krankenhauses konfrontiert gewesen und war entsetzt über die Zustände dort. Es geht mir nicht um die medizinische Versorgung, die war bestimmt gut (das hoffe ich zumindest). Es geht mir um die pflegerische Versorgung, essen, trinken, Toilette, etc. Die Krankenschwestern und -pfleger haben keine Zeit, sich um einen Patienten zu kümmern. Ein kleines Beispiel: Das Essenstablett wurde hingestellt und eine halbe Stunde später wieder abgeholt, ohne dass der Patient gegessen hätte - weil er nämlich nicht in der Lage war, alleine zu essen. Das hat aber niemanden interessiert. Die Pflegekraft hat ihren Arbeitsauftrag erfüllt, indem sie dieses Tablett abgeholt hat. Was den Patienten betrifft, das interessiert in diesem System niemanden. Ich kann noch mehr solche Vorfälle berichten. Für mich als Angehörige war es ein Horror, diesen Zeitdruck und den damit einhergehenden unwürdigen Umgang mit den Patienten auszuhalten. Es gab keine Minute Zeit, auch nur das Wichtigste kurz abzuklären. Ich selber habe aufgrund dieser Erfahrungen kein Vertrauen mehr in unser Krankenhaussystem. Und ich wünsche mir ganz dringend Politiker, die sich dieses Themas annehmen. Deshalb meine Frage an Sie: Was ist Ihr politisches Konzept, um die missliche Lage in unseren Krankenhäusern zu verbessern?
Sehr geehrte Frau Stange,
ich stimme Ihnen zu, dass unser momentanes Pflegesystem dringend reformbedürftig ist.
Vor allem, wenn man dabei bedenkt, dass sich die Zahl pflegebedürftiger Menschen laut Prognosen von heute 2,13 Millionen bis zum Jahr 2050 auf 4,35 Millionen mehr als verdoppeln könnte. Zeitgleich sinkt durch den demographischen Wandel die Zahl potentieller Pfleger. Daher sind grundlegende Reformen notwendig.
Mit Ihren Erfahrungen, die Sie geschildert haben, treffen Sie genau den Kern des Problems. Eine gute Pflege sollte sich an den Ansprüchen und Bedürfnissen der Gepflegten und deren Angehörigen orientieren, daher sollten Verbraucherorientierung und Verbraucherschutz eine wichtigere Rolle in der Pflegepolitik einnehmen. Die individuellen Bedürfnisse der Pflegebedürftigen erfordern auch individuelle Pflege und die ist nur bei ausreichender Zeit und angemessener Bezahlung möglich. Ein wichtiger Schritt hin zu einer besseren Pflege ist eine Reform der Pflegeausbildung. Unser Konzept hierfür können Sie unter folgendem Link einsehen:
http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/18/078/1807880.pdf
Uns ist aber auch klar, dass Reformen und Ausbau der Pflege Geld kosten. Daher fordern wir schon lange eine nachhaltige und sozial gerechte Finanzierung der Pflege. Langfristig ist das Ziel eine grüne Bürgerversicherung, in die alle Bürger Ihrer Leistungsfähigkeit angemessen einzahlen. So können wir ein System schaffen, das langfristig den Erfolg und die Unterstützung verspricht, die die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen auch verdienen.
Mit freundlichen Grüßen
Cem Özdemir