Frage an Cem Özdemir von Veronika P. bezüglich Gesundheit
Sehr geehrter Herr Özdemir,
finden Sie es korrekt, dass in der Frage des Netzausbaus die Netzbetreiber den Netzbedarf für Deutschland selbst ermitteln, anstelle eines unabhängigen Gremiums? Das schmeckt doch sehr nach "Selbstbedienung"!
Finden Sie es weiterhin korrekt, dass entgegen der Verpflichtung des Staates zum Schutz der Bevölkerung vor körperlicher Unversehrtheit eine Technologie wie die HGÜ-Stromtrassen, deren Wirkungen auf den Menschen insbesondere durch die entstehenden Raumladungswolken bislang nicht geklärt sind, quer durch Deutschland entlang dicht besiedelten Gebieten gebaut werden sollen? Auf die leukämieerzeugende Wirkung von Hochspannungs-Wechselstromtrassen haben Mediziner und Wissenschaftler Jahrzehnte lang hingewiesen - Politik hat viel zu spät, erstmals 2013 erste Regelungen zum Schutz der Menschen, wie das Überbauungsverbot von Wohnhäusern in das 26. BImSchG aufgenommen - nur ein erster Schritt, die Grenzwerte sind noch immer zu hoch.
Sollen die Bürger dieses Landes durch eine nicht untersuchte Technologie wiederum 50 Jahre auf erforderliche Schutzmaßnahmen durch die Volksvertreter warten, die tausende Menschen einem ungeklärten Gesundheitsrisiko aussetzen? Sind Sie bereit sich den Forderungen ihrer Abgeordnetenkollegen Franke, Siebert und anderen, die die Gefahr erkannt haben, anzuschließen und das Projekt SuedLink und andere HGÜ´s erstmal zu stoppen, bis die Frage des tatsächlichen Bedarfs und die Frage der gesundheitlichen Folgen unabhängig geprüft worden sind?
Mit freundlichen Grüßen
Veronika Papenhagen-Stannick
Rechtsanwältin und Vorsitzende der Bürgerinitiative Bad Emstal
Sehr geehrte Frau Papenhagen-Stannick,
wir setzen uns für die vollständige Umstellung der Stromversorgung auf erneuerbare Energien ein. Um dies zu schaffen, muss die veraltete Netzinfrastruktur fit gemacht werden. Nur so ist garantiert, dass die teils stark schwankenden erneuerbaren Stromquellen dezentral ins Netz eingespeist werden können, und dass Windstrom aus dem Norden effizient und weiträumig in die Verbrauchshochburgen in Süd- und Westdeutschland übertragen wird. Dazu braucht es auch neue Stromtrassen.
In den letzten Jahren hat der Netzausbau mit dem Wandel der Energielandschaft nicht Schritt gehalten. Seit den 1970er Jahren wurde wenig in die Netze investiert. Das führt bereits heute zu Engpässen in manchen Regionen Deutschlands, in anderen Regionen sind diese absehbar. Bisher führen diese Engpässe – vor allem im Verteilnetz - zum Beispiel an der Nordseeküste dazu, dass Windenergieanlagen abgeregelt werden müssen, da im Netz keine Kapazitäten vorhanden sind, um den Strom zu den Verbrauchszentren zu transportieren.
Auf der anderen Seite ist schon jetzt klar, dass ein erheblicher Stromtransportbedarf in die Verbrauchszentren Deutschlands besteht und auch in Zukunft weiter bestehen wird. Auch wenn in Süddeutschland erneuerbare Energien stärker dezentral ausgebaut werden – was von uns schon immer gefordert und unterstützt wurde –, wird die Versorgung der Verbrauchszentren ohne ausreichende Trassen für den Stromtransport nicht gelingen können. Zwar sinkt dadurch der Bedarf, das Netz auszubauen – ebenso wie durch Maßnahmen zur Energieeinsparung, zum Lastabwurf in der Industrie und durch Speichertechnologien. Eine komplette „Eigenversorgung“ mit Strom aus erneuerbaren Energien in Süddeutschland aber wird nicht gelingen. Zudem ist ein überregionaler Austausch von Strom für die Versorgungssicherheit des gesamten Landes, für einen funktionierenden europäischen Strommarkt und für eine bundeseinheitliche Preiszone unerlässlich.
Der Aus- und Neubau von Höchstspannungsüberlandleitungen ist oft mit Eingriffen in Natur und Landschaft verbunden und kann zu einer erheblichen Belastung der Bevölkerung vor Ort führen. Daher muss der Zubau neuer Leitungen auf das notwendige Maß beschränkt und der Ausbau bürgerfreundlich und naturverträglich gestaltet werden. Um Gesundheitsgefährdungen durch Elektrosmog zu minimieren, wollen wir für alle neuen Stromübertragungsleitungen im Hoch- und Höchstspannungsbereich ein Überspannungsverbot für Wohnhäuser.
Die grüne Bundestagsfraktion spricht sich klar dafür aus, die Mitwirkungsrechte der Bürgerinnen und Bürger sowie die Naturschutzbelange zu stärken. Eine umfassendere und frühzeitige Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger vor Ort muss sichergestellt werden. Wir halten es für falsch, dass die Klagemöglichkeiten für Bürgerinnen und Bürger im Bundesbedarfsplangesetz auf nur noch eine Instanz (Bundesverwaltungsgericht) eingeschränkt wurden. Nach unserer Auffassung kann man nicht für Akzeptanz werben, und gleichzeitig rechtliche Überprüfungsmöglichkeiten massiv einschränken.
In diesem Sinne setzen wir uns für folgende Punkte ein:
- Der Stromnetzausbau muss zwingend der Energiewende dienen. Er darf nicht dazu missbraucht werden, alte Kohlekraftwerke am Leben zu erhalten. Daher sind flankierende Maßnahmen notwendig, um die Kohlekraft Schritt für Schritt aus dem Markt zu drängen.
- Der Einsatz von Erdkabeln muss grundsätzlich bei allen Leitungsneubauten möglich sein und als mindestens gleichwertige, bei den HGÜ-Leitungen (Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung) als vorrangige Alternative in das Planungsverfahren einfließen. Erdkabel sind ein wirksames Instrument zur Lösung von ökologischen und sozialen Konflikten.
- Die Beteiligung und Information von Bürgerinnen und Bürgern vor Ort muss umfassend, ehrlich und frühzeitig erfolgen. Die Beschränkung der Klagemöglichkeiten auf eine Instanz muss rückgängig gemacht werden.
- Für Wohn- und Arbeitsstätten fordern wir ein generelles Überspannungsverbot für alle Stromübertragungsleitungen im Hoch- und Höchstspannungsbereich, um Gesundheitsgefährdungen durch Elektrosmog auszuschließen.
- Der Zubau neuer Leitungen muss auf das notwendige Maß beschränken werden.
Mit freundlichen Grüßen
Cem Özdemir