Frage an Carola Stauche von Robin K.
Hallo, wieso ist denn jetzt etwas, das vom EuGH als grundrechtlich und menschenrechtlich(!) nicht durchführbar und zulässig bezeichnet worden ist, jetzt plötzlich doch wieder ganz toll ?
Quelle: http://www.zeit.de/politik/deutschland/2014-04/eugh-vorratsdaten-maas-maiziere
Sehr geehrter Herr Kaufmann,
vielen Dank für Ihre Frage zum Thema Vorratsdatenspeicherung.
Weder das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) noch der Europäische Gerichtshof (EuGH) haben 2010 beziehungsweise 2014 die Vorratsdatenspeicherung an sich verboten. Kritik gab es lediglich hinsichtlich der konkreten Ausgestaltung. Lassen Sie mich dies näher erläutern:
In seinem Urteil vom 2. März 2010 hat das BVerfG eine Vorratsdatenspeicherung zwar nicht als von vornherein unvereinbar mit Art. 10 Abs. 1 Grundgesetz (Brief,- Post- und Fernmeldegeheimnis) angesehen, jedoch die konkrete Ausgestaltung des damaligen Gesetzes für unverhältnismäßig und damit verfassungswidrig erklärt. In seiner Entscheidung erläutert das Gericht, das unter bestimmten Maßgaben eine solche Speicherung mit Art. 10 Abs. 1 GG vereinbar sein kann.
Der EuGH hat in seinem Urteil vom 8. April 2014 die Vorratsdatenspeicherungsrichtlinie 2006/24 der Europäischen Union mit allgemeiner Wirkung für ungültig erklärt, da sie mit der Charta der Grundrechte (GrCh) der Europäischen Union nicht vereinbar sei. Damit ist die in der Richtlinie enthaltene Umsetzungspflicht entfallen und das Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland (wegen nicht rechtzeitiger Umsetzung der Richtlinie) hat seine Grundlage verloren. Die bisher in den einzelnen EU-Mitgliedsstaaten geschaffenen nationalen Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung werden davon aber nicht berührt und bleiben wirksam. Die Organe der EU können eine völlig neue Richtlinie beschließen.
Zum Urteil des EuGH konkret: Er hat die Vorratsdatenspeicherungsrichtlinie am Maßstab von Art. 7 GrCh (Achtung des Privat- und Familienlebens) und Art. 8 GrCh (Schutz personenbezogener Daten) geprüft und dabei festgestellt, dass der EU-Gesetzgeber beim Erlass der Richtlinie die sich aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ergebenden Grenzen überschritten habe. Der EuGh fordert klare und präzise Regeln für die Tragweite und Anwendung der fraglichen Maßnahme sowie die Aufstellung von Mindestanforderungen, die einen wirksamen Schutz der personenbezogenen Daten vor Missbrauchsrisiken sowie vor jedem unberechtigten Zugang zu diesen Daten und jeder unberechtigten Nutzung ermöglichen. Der Schutz des Grundrechts auf Achtung des Privatlebens verlange, dass sich die Ausnahmen vom Schutz personenbezogener Daten und dessen Einschränkungen auf das absolut Notwendige beschränken.
Der EuGH betont in seiner Entscheidung, dass eine Speicherung der Kommunikationsverkehrsdaten prinzipiell möglich sei und benennt dazu eine Vielzahl von einzelnen Aspekten. Er kritisiert insbesondere, dass sich die Richtlinie 2006/24 generell auf alle Personen und alle elektronischen Kommunikationsmittel sowie auf sämtliche Verkehrsdaten erstreckt, ohne irgendeine Differenzierung, Einschränkung oder Ausnahme anhand des Ziels der Bekämpfung schwerer Straftaten vorzusehen (Rdnr. 57). Der EuGH fordert Kriterien für die Beschränkung des Zugriffs auf die Daten, wie etwa ein Richtervorbehalt oder unabhängige Kontrollstellen. Ein weiterer Kritikpunkt ist die mangelnde Differenzierung nach Datenkategorien bei der Speicherdauer und fehlende Anforderungen an die privaten Telekommunikationsunternehmen hinsichtlich des Schutzes der gespeicherten Daten vor Missbrauchsrisiken und vor unberechtigtem Zugang sowie unberechtigter Nutzung enthalte.
Das neue Gesetz trägt diesen Bedenken sowohl des BVerfG als auch des EuGH Rechnung. Auch ich finde die Vorratsdatenspeicherung nicht toll; aber wir wollen die Bürgerinnen und Bürger bestmöglich schützen und befürworten daher eine gesetzliche Grundlage für die Speicherung von Verbindungsdaten. Es geht dabei vor allem um Daten, die die Telekommunikationsunternehmen schon heute zum Beispiel für die Telefonrechnung speichern. Die Übermittlung und Verwendung dieser Daten durch staatliche Ermittlungsbehörden darf nur anlassbezogen und bei Verdacht einer schweren Straftat oder konkreten Gefahr erfolgen. Ohne einen solchen Anlass – also in aller Regel - werden die Daten nach der festgesetzten Frist ohne weitere Nutzung schlicht bei den Providern gelöscht; keine staatliche Stelle bekommt sie jemals zu sehen. Damit besteht ein entscheidender Unterschied gegenüber Datensammlungen von Google, Facebook, Payback etc., die die Daten in ihrer Gesamtheit gerade zu dem Zweck erheben, diese umfassend z.B. zu Werbezwecken auszuwerten und möglichst viel über möglichst viele Nutzer zu erfahren.
Ich bin überzeugt, dass wir am 16. Oktober 2015 ein ausgewogenes und juristisch sicheres Gesetz beschlossen haben, dass einen wichtigen Beitrag zur Sicherheit leistet, ohne dabei die Freiheit zu vernachlässigen.
Mit freundlichen Grüßen
Carola Stauche