Frage an Carola Reimann von Heinz B. bezüglich Gesundheit
Sehr geehrte Frau Reimann,
nach der Bundestagswahl kann das Projekt "Bürgerversicherung" wieder ins Auge gefasst werden. Dies ist sehr erfreulich, aber es bleiben nach der Lektüre des SPD-Wahlmanifests von 2005 ein paar offene Fragen. Dort steht z.B.:
"Auch Gutverdienende, Beamte, Selbständige und Politiker werden in die solidarische Krankenversicherung einbezogen."
Was heißt das genau? Auf den ersten Blick suggeriert dieser Satz, die SPD wolle alle Menschen in einer Versicherung (wohl der GKV) einbeziehen.
Aber nirgendwo im Manifest findet sich dazu und zur Zukunft für die PKV eine klärende Aussage.
Darum teilen Sie mir doch bitte mit:
Bleibt die PKV nach Ihren Plänen wie bisher bestehen?
Wird die PKV von der SPD auch als eine "solidarische Versicherung" (wohl von Gesunden mit Kranken) angesehen?
Wie sollen dann Beamte, Selbständige und Politiker solidarisch sein mit gesetzlich Versicherten, wo ja auch Solidarität besteht von Jung mit Alt, von Reich mit Arm?
Wie stellt sich die SPD die Herstellung der Parität vor, wenn auch Kapitalerträge zur Finanzierung herangezogen werden?
Wie sollen im Gegenzug Arbeitgeber stärker beteiligt werden?
Wie will die SPD eine gerechte Belastung durch Krankenkassenbeiträge erreichen, wenn die Beitragsbemessungsgrenze bestehen bleiben soll?
Bleibt es so nicht bei dem sozial ungerechten Zustand, dass diejenigen, die mehr als 3600 Euro verdienen, einen geringeren Prozentsatz zahlen als die Geringverdiener?
Bspw. gesetzlich versicherte Bundestagsabgeordnete zahlen ca. 7-8 Prozent an Beiträgen, ich hingegen 15 Prozent!
Ist das sozial gerecht?
Durch das Heranziehen anderer Einkunftsarten erhöht sich dieses Missverhältnis noch.
Wer bereits über 3600 Euro liegt, zahlt keinen Cent mehr, Menschen mit geringeren Einkommen wären die einzigen, die dadurch mehr Beitrag leisten müssten.
Bitte erklären Sie mir, wie dies soziale Gerechtigkeit herstellt.
Oder überarbeitet die SPD diese Punkte von 2005 noch?
In Erwartung einer erfreulichen Antwort
Heinz Birkel
Sehr geehrter Herr Birkel,
vielen Dank für Ihr Schreiben über das Internetportal „abgeordnetenwatch.de“. Ihre Fragen zum Bürgerversicherungsmodell und zum Wahlmanifest der SPD aus dem Jahr 2005 beantworte ich gerne.
Das Wahlmanifest der SPD beschreibt, wie bei Wahlprogrammen üblich, nicht bis ins letzte Detail die Vorhaben der kommenden Wahlperiode. Nur so bleibt das Programm kompakt, übersichtlich und für alle lesbar und verständlich. Auch das Thema Bürgerversicherung konnte aus diesem Grund nicht in Gänze dargestellt werden.
Eckpunkte für die solidarische Bürgerversicherung hat die SPD bereits im Jahr 2004 vorgelegt. Diese sind auch die Grundlage für die im Wahlmanifest gemachten Aussagen. Danach bleibt auch mit der Einführung der Bürgerversicherung die private Krankenversicherung (PKV) bestehen. Sie soll aber in einen echten Leistungs- und Qualitätswettbewerb zwischen PKV und gesetzlicher Krankenversicherung (GKV) einbezogen werden.
Nach dem Modell können alle Krankenkassen – private und gesetzliche – einen Bürgerversicherungstarif zu gleichen Wettbewerbsbedingungen anbieten. Dabei müssen folgende, für die PKV heute größtenteils nicht vorhandene, Wettbewerbsbedingungen gelten:
1. Einkommensbezogene Beiträge: Jeder zahlt nach seiner Leistungsfähigkeit aus Erwerbs- und Kapitaleinkommen seine Beiträge. Lohnbezogene Beiträge werden paritätisch finanziert.
2. Kontrahierungszwang: jede Versicherung – ob gesetzliche oder privat – muss jeden ohne Gesundheitsprüfung aufnehmen.
3. Gesetzlicher Leistungskatalog: alles medizinisch Notwendige ist versichert.
4. Sachleistungsprinzip: Patientinnen und Patienten erhalten die Leistungen unmittelbar und müssen nicht im Voraus bezahlen.
5. Ein Risikostrukturausgleich zwischen den Kassen soll verhindern, dass Kassen mit überdurchschnittlich vielen erkrankten Versicherten Wettbewerbsnachteile haben.
Das Modell von 2004 sieht vor, dass Bürgerinnen und Bürger ihre Kasse frei wählen können. Wer gesetzlich versichert ist, könnte dann künftig zwischen den Bürgerversicherungsangeboten der gesetzlichen und der privaten Kassen wählen. Wer bereits einen privaten Versicherungsvertrag nach altem Muster hat, könnte diesen behalten oder in ein Bürgerversicherungsangebot seiner Wahl wechseln. Wer neu krankenversichert wird, ginge dann sofort in die Bürgerversicherung. Dabei soll nach dem Modell nicht vorgeschrieben werden, ob das gesetzliche oder das private Bürgerversicherungsangebot gewählt wird.
Durch die Einbeziehung der PKV in den Risikostrukturausgleich und den Kontrahierungszwang wird sichergestellt, dass eben auch Gutverdienende, Beamte, Selbstständige und Politiker in wesentlich stärkerem Umfang als bislang in die solidarische Krankenversicherung einbezogen werden.
Bisher wird das Gesundheitswesen allein über Löhne und Gehälter finanziert. Das wird aufgrund der steigenden Kosten durch den demographischen Wandel und den medizinisch-technischen Fortschritt immer schwieriger. Nach dem Bürgerversicherungsmodell der SPD sollen deshalb künftig auch Einkünfte wie Zinsen und Dividenden an Bedeutung gewinnen. Vorgeschlagen wurden zwei Modelle: Eine Variante sieht vor, Kapitaleinkommen bis zur Beitragsbemessungsgrenze heranzuziehen. Die zweite Variante beinhaltet einen Zuschlag zu einer Abgeltungssteuer auf Kapitaleinkommen, der in die Finanzierung der Bürgerversicherung fließt. Für beide Modelle sollen Freibeträge gelten. Damit wird sichergestellt, dass kleinere Einnahmen nicht belastet werden. Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung werden ebenfalls nicht einbezogen.
Sie kritisieren in Ihrem Schreiben, dass Einkommen über der Beitragsbemessungsgrenze nicht weiter belastet werden. Diese Beitragsbemessungsgrenze ist nicht fix, sondern wird jährlich an die allgemeine Lohn- und Gehaltsentwicklung aller Versicherten angepasst. Beitragsbemessungsgrenzen gibt es in allen Zweigen der Sozialversicherung. Durch diese Grenze will man unter anderem vermeiden, dass Gutverdienende zusätzliche Anreize für einen Wechsel zur (für junge und gesunde Versicherte billigeren) privaten Krankenversicherung bekommen. Ich denke jedoch, dass man im Rahmen der Umsetzung der Bürgerversicherung über die Höhe der Beitragsbemessungsgrenze erneut diskutieren könnte.
Die SPD wird sich auch künftig für die solidarische Bürgerversicherung einsetzen. Auch das im vergangenen Jahr verabschiedete Hamburger Programm sieht eine Bürgerversicherung vor. Klar ist aber auch, dass die SPD im Hinblick auf das Regierungsprogramm 2009 neue Entwicklungen im Gesundheitsbereich in das schon bestehende Bürgerversicherungsmodell aufnehmen wird.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Carola Reimann MdB