Frage an Carola Reimann von Hartmut A. bezüglich Arbeit und Beschäftigung
Sehr geehrte Frau Dr. Reimann,
Kommissar Verheugen (SPD) hat sich nach eigenem Verständnis der Aufgabe verschrieben, im Hinblick auf die ausufernden EU-Direktiven angeblich den Abbau der EU-Bürokratie zu betreiben. Als eine der ersten sichtbaren Handlungen sollen bei Fertigpackungen die bisher festgelegten Mengenangaben der Beliebigkeit der Industrie überlassen werden. Und in der Tat, so wie das Fernsehen kürzlich berichtete, werden jetzt die ersten Packungen mit geringerem Inhalt zu gleichem Preis in den Handel ausgeliefert. Ergebnis: statt Bürokratieabbau erfolgt versteckter Betrug am Verbraucher. Trotzdem täuscht Verheugen die Öffentlichkeit mit falschen Absichtserklärungen.
Welche Position nehmen Sie als Volksvertreterin ein?
Sehr geehrter Herr Apel,
vielen Dank für Ihre E-Mail vom 8. Dezember 2006. Bitte entschuldigen Sie die lange Bearbeitungsdauer Ihres Schreibens. Sie beklagen darin, dass die Deregulierung von Verpackungsgrößen im Rahmen einer EG-Richtlinie zu versteckten Preiserhöhungen geführt hat. Dies konterkariere den von EU-Kommissar Günther Verheugen angestrebten Bürokratieabbau.
Grundsätzlich begrüße ich Initiativen, die eine Verschlankung des europäischen Regelungswerks vorsehen. Jedoch dürfen dabei bedeutende Gemeinschaftsinteressen - dazu gehört auch der Verbraucherschutz - nicht verletzt werden. Die neue EG-Richtlinie über die „Nennfüllmengen für Erzeugnisse in Fertigverpackungen“ und die damit verbundene Aufhebung weiterer Richtlinien sind Schritte zu weniger Reglementierung. Die strikten Nonnen für die Füllmengen wurden aufgehoben. Unternehmen dürfen nun relativ frei darüber entscheiden, wie viel sie in ihre Fertigpackungen abfüllen. Warum ist das sinnvoll?
Der Europäische Wirtschafte- und Sozialausschuss stellt in seiner Stellungnahme zu dieser Richtlinie fest, dass es in den vergangenen Jahrzehnten im Verpackungsbereich zu großen Veränderungen gekommen ist. Durchschnittlich leben heute weniger Menschen in einem Haushalt zusammen als noch vor zehn oder zwanzig Jahren. Auch werden mehr Einzelportionen verzehrt. Der wachsende Wohlstand sowie steigende Ansprüche der Verbraucher haben zu einer stärkeren Nachfrage nach einer immensen Vielfalt von Produkten und Verpackungen geführt. Dadurch nimmt auch der Innovationsund Wettbewerbsdruck für die Händler auf dem globalen Markt weiter zu. Von einer Deregulierung im Verpackungsmarkt profitieren folglich nicht nur die Unternehmen, sondern auch die Endverbraucher. Das Angebot an neuen und vielfältigeren Produkte wird wachsen.
Nun berichten Sie, verehrter Herr Apel, von der Schattenseite dieser Liberalisierung. Aus den Medienhaben Sie entnommen, dass die Neuregelung von einigen Herstellern für versteckte Preissteigerungen missbraucht wurde. Die Fertigverpackungen seien zum gleichen Preis angeboten worden, obwohl der Inhalt reduziert worden war. Meinen Kollegen im Fachbereich Verbraucherschutz sind ebenfalls derlei Fälle bekannt. Dies ist äußert bedauerlich.
Ursprünglich wurden die kürzlich abgeschafften Reglementierungen in den 70-er-Jahren aus Gründen des Verbraucherschutzes eingeführt. Denn in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union gab es eine Vielzahl unterschiedlicher, Verpackungsgrößen, sodass ein Preisvergleich fast unmöglich war. Dieses Problem sollte durch einheitliche Verpackungsgrößen behoben werden. Ich halte diese Bestimmungen rückblickend für sinnvoll, glaube aber, dass die oben geschilderten Gründe für die Neuregelung sprechen.
Denn in den vergangenen Jahrzehnten sind auf europäischer Ebene eine Reihe von Maßnahmen getroffen worden, um den Verbraucherschutzes weiter zu verbessern. Dabei möchte ich die Richtlinie 98/6/EG über den „Schutz der Verbraucher bei der Angabe der Preise der ihnen angebotenen Erzeugnisse" hervorheben. Sie schreibt vor, dass auf den Etiketten neben dem jeweiligen Preis zusätzlich der Grundpreis je Kilogramm bzw. Liter ausgezeichnet werden muss. Sicherlich sind Ihnen diese Angaben beim Einkaufen bereits aufgefallen. Wenn Sie sich in einem konkreten Fall beispielsweise zwischen Joghurts verschiedener Hersteller entscheiden möchten, die jeweils unterschiedliche Füllmengen haben, dann können Sie dies ganz leicht anhand der Grundpreisangabe machen. Diese zeigt Ihnen, wie teuer jeder Joghurt umgerechnet auf 100 Milliliter wäre.
Die Preisangabe je nach Maßeinheit bietet demnach eine sehr effektive Möglichkeit, die unterschiedlichen Produktpreise miteinander zu vergleichen. Und. genau dort können Sie als Verbraucher selbst die Initiative ergreifen, um gegen „Schwarze Schafe“ vorzugehen. Wenn Ihnen bei bestimmten Produkten auffallen sollte, dass der Packungsinhalt bzw. die Größe der Verpackung abgenommen hat - der Preis jedoch nicht gesunken ist - dann entscheiden Sie sich für ein vergleichbares Produkt eines anderen Herstellers. Folgen mehrere Menschen ihrem Beispiel, dann wird der Umsatzrückgang für die „Mogelpackung“ den Hersteller zum Umdenken bewegen.
Dennoch wünsche ich Ihnen sehr herzlich, dass Sie nur die positiven Auswirkungen der EG-Richtlinie erfahren werden.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Carola Reimann MdB