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Carola Reimann
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Frage von Oliver G. •

Frage an Carola Reimann von Oliver G.

Sehr geehrte Frau Dr. Reimann,

können Sie mir die Vorteile der Schaffung der zentralen Gesellschaft für Autobahnen und Bundesstraßen aus Ihrer Sicht kurz erläutern und darlegen, warum Sie dafür mit "Ja" gestimmt haben? Mir werden die Vorteile für uns (die Gesellschaft) bislang nicht ganz klar. Haben Sie nicht die gleichen Bedenken wie Ihr Kollege Marco Bülow:
http://www.marco-buelow.de/neuigkeiten/meldung/artikel/2017/juni/erklaerung-zur-abstimmung-ueber-bund-laender-finanzausgleich-autobahnprivatisierung-etc.html
Können wir in Zukunft damit rechnen, dass Straßen und ggf. auch weitere öffentliche Einrichtungen wie z.B. Schulen durch private Investoren betrieben werden? Wie passt das mit dem SPD Slogan "Zeit für mehr Gerechtigkeit" zusammen?

Ich freue mich auf Ihre Antwort.
Mit freundlichen Grüßen

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Goetz,

vielen Dank für Ihre Anfrage auf abgeordnetenwatch.de.

Ich habe in den letzten Tagen viele Zuschriften mit ähnlichen Fragen zu diesem Thema erhalten. Die Kritik kann ich gut nachvollziehen und ich erkläre Ihnen gern mein Abstimmungsverhalten.

Schon innerhalb der Bundesregierung ist es der SPD gelungen, eine doppelte Privatisierungsschranke im Gesetzentwurf der Regierung zur Änderung des Grundgesetzes durchzusetzen. Im Grundgesetz selbst wird deswegen in Artikel 90 geregelt werden, dass nicht nur die Bundesfernstraßen selbst im unveräußerlichen, 100prozentigen Eigentum des Bundes stehen, sondern auch die Infrastrukturgesellschaft, die für deren Planung, Bau und Betrieb zuständig sein wird. CDU-Finanzminister Schäuble und CSU-Verkehrsminister Dobrindt wären bereit gewesen, 49 Prozent dieser Gesellschaft an private Investoren zu verkaufen. Das haben wir bereits verhindert, noch bevor das Gesetzgebungsverfahren den Bundestag erreicht hat.

In intensiven und schwierigen Verhandlungen mit CDU/CSU haben wir als SPD-Bundestagsfraktion nun zwei weitere Grundgesetz-Änderungen durchgesetzt.
1) Eine unmittelbare oder mittelbare Beteiligung Dritter an der Infrastrukturgesellschaft und deren Tochtergesellschaften wird in Artikel 90 Absatz 2 des Grundgesetzes ausgeschlossen. Damit ist klar: die Gesellschaft bleibt zu 100 Prozent staatlich, null Prozent privat.
2) Ausgeschlossen wird auch eine funktionale Privatisierung durch die Übertragung eigener Aufgaben der Gesellschaft auf Dritte, z.B. durch sogenannte Teilnetz-ÖPP. In Artikel 90 Absatz 2 des Grundgesetzes wird dazu der Satz eingefügt: „Eine Beteiligung Privater im Rahmen von Öffentlich-Privaten Partnerschaften ist ausgeschlossen für Streckennetze, die das gesamte Bundesautobahnnetz oder das gesamte Netz sonstiger Bundesfernstraßen in einem Land oder wesentliche Teile davon umfassen.“ Einfachgesetzlich wird geregelt, dass Öffentlich-Private Partnerschaften (ÖPP) nur auf der Ebene von Einzelprojekten bis maximal 100 Kilometer Länge erfolgen, die nicht räumlich miteinander verbunden sein dürfen.

Mit diesen Grundgesetz-Änderungen und vielen einfachgesetzlichen Änderungen stellen wir sicher, dass auch theoretisch mögliche Hintertüren für eine Privatisierung fest verschlossen sind. Vieles, was bislang rechtlich möglich gewesen wäre bei der Einbeziehung privater Betreiber und institutioneller Investoren, ist jetzt erstmals rechtlich ausgeschlossen. Manche Kritiker und manche Kampagne hat absurderweise gerade uns als SPD in den letzten Wochen unterstellt, mit den Grundgesetz-Änderungen würden wir die Türen für eine Privatisierung öffnen. Das Gegenteil ist richtig: Wir schließen Türen, die bislang offen standen.

Dies bestätigt uns auch der Bundesrechnungshof (BRH), der das Gesetzgebungsverfahren mit mehreren Berichten begleitet hat. In seinem jüngsten Bericht vom 24. Mai 2017 gleicht der BRH die Empfehlungen aus seinen Berichten mit den Änderungsanträgen der Koalitionsfraktionen ab und kommt zusammenfassend u.a. zu folgenden Ergebnissen:

„Der Änderungsantrag berücksichtigt in weiten Teilen die Anregungen des Bundesrechnungshofes zur Organisation der Infrastrukturgesellschaft. Danach muss das Parlament einem möglichen Rechtsformwechsel der Infrastrukturgesellschaft zustimmen. Darüber hinaus ist jegliche Privatisierung der Bundesautobahnen ausgeschlossen. Die Gründung von regionalen Tochtergesellschaften ist nicht mehr zwingend vorgegeben, sondern steht nunmehr im Ermessen der Infrastrukturgesellschaft. Der Änderungsantrag enthält Regelungen zur Finanzierung der Infrastrukturgesellschaft, die die Empfehlungen des Bundesrechnungshofes berücksichtigen. So soll auch künftig der Bundesautobahnbau über den Bundeshaushalt finanziert werden. Dazu sollen der Infrastrukturgesellschaft Mauteinnahmen zur Verfügung gestellt werden. Überdies soll der Einfluss des Parlamentes auf die Verwaltung der Bundesautobahnen gewahrt bleiben. Anstatt der ursprünglich geplanten staatsfernen soll eine staatsnahe Infrastrukturgesellschaft entstehen. Zudem sollen die Kreditfähigkeit der Infrastrukturgesellschaft eingeschränkt sowie stille Gesellschaften und Unterbeteiligungen verhindert werden.“
Im Ergebnis haben wir als SPD die doppelte Privatisierungsschranke des Regierungsentwurfs (Bund ist 100prozentiger Eigentümer erstens der Autobahnen und zweitens der Autobahngesellschaft) mit weiteren Privatisierungsschranken verstärkt.

Neben den beiden Grundgesetz-Änderungen verweise ich auf folgende Punkte, die in der öffentlichen Diskussion immer wieder auftauchen und oft falsch dargestellt werden:

- Die Gesellschaft wird nicht kreditfähig. Damit ist die Gefahr einer Aufnahme von privatem Kapital zu hohen Zinsen gebannt. Um effizient wirtschaften und „atmen“ zu können, kann die Gesellschaft aber Liquiditätshilfen (zinslose Darlehen) aus dem Bundeshaushalt erhalten, wie andere Bundesgesellschaften auch.
- Eine Übertragung von sog. Altschulden auf die Gesellschaft wird ausgeschlossen.
- Das wirtschaftliche Eigentum an den Bundesautobahnen geht nicht an die Gesellschaft über, sondern bleibt beim Bund. Die Übertragung und die Überlassung von Nießbrauch-Rechten und anderen Rechten werden ausgeschlossen.
- Mautgläubiger der LKW-Maut und der PKW-Maut bleibt der Bund. Die Option, dass die Gesellschaft das Mautaufkommen direkt vereinnahmen kann, wird gestrichen.
- Die neue Gesellschaft wird als GmbH errichtet und damit als juristische Person des privaten Rechts. Es ist aber grob irreführend, „privatrechtlich“ mit „Privatisierung“ gleichzusetzen. Deutschland organisiert zum Beispiel einen Großteil seiner internationalen Entwicklungshilfe über die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), die ebenfalls eine GmbH ist. Trotzdem hat wohl noch niemand ernsthaft behauptet, Deutschland habe seine Entwicklungshilfe privatisiert.
- Genauso irreführend ist die Behauptung, durch die Zulässigkeit einzelner ÖPP-Projekte werde die Privatisierung eben doch noch ermöglicht. Erstens: Eine öffentlich-private Partnerschaft ist nicht das gleiche wie Privatisierung. Aber selbst wenn man das annehmen möchte, gilt zweitens: ÖPP sind immer nur dann erlaubt, wenn sie wirtschaftlicher sind als die herkömmliche Beschaffung (Staat bzw. Gesellschaft bauen und betreiben selbst) – was bei einer effizient arbeitenden neuen Gesellschaft seltener der Fall sein wird als in den jetzigen Strukturen (weswegen beispielsweise die österreichische Autobahngesellschaft ASFINAG kein einziges ÖPP-Projekt macht, obwohl sie könnte). Drittens und aus meiner Sicht am Wichtigsten: ÖPP bleibt auf Einzelprojekte beschränkt, und durch die von uns durchgesetzte Grundgesetz-Änderung ist es dauerhaft verboten, ein ÖPP-Projekte an das andere zu setzen, bis irgendwann wesentliche Teile des Autobahnnetzes oder des Bundesstraßennetzes in einem Bundesland als ÖPP betrieben werden.

Uns Sozialdemokraten war aber nicht nur der Ausschluss von Privatisierungsoptionen wichtig, sondern auch die Zukunft der Beschäftigten, die gegenwärtig in den Straßenbauverwaltungen der Länder beschäftigt sind und künftig zum Bund wechseln sollen. Wir haben Kernforderungen der Gewerkschaften durchgesetzt, um die berechtigten Interessen der Beschäftigten zu schützen und eine leistungsfähige neue Organisation zu schaffen, die ein attraktiver Arbeitgeber wird. So wird der Bund alle wechselbereiten Beschäftigten (Beamte, Arbeitnehmer und Auszubildende) unter Wahrung ihrer Besitzstände übernehmen (keine „Rosinenpickerei“). Nicht wechselbereite Beschäftigte bei Ländern und Kommunen werden weiterbeschäftigt, deren Personalkosten werden voll erstattet. Für die Beschäftigten bei der Gesellschaft sind Tarifverträge abzuschließen. Für die Überleitung der Beschäftigten werden Überleitungstarifverträge angestrebt. Beides wird gesetzlich geregelt. Die Personalvertretungen werden an der Arbeit des begleitenden Bund-Länder-Gremiums beteiligt, sofern Belange der Beschäftigten berührt sind.

Zu guter Letzt war uns wichtig, dass die Reform nicht zu weniger demokratischer Kontrolle und Einflussnahme führt, sondern dass die Informations- und Steuerungsrechte des Bundestages gewahrt bleiben. So bedarf zum Beispiel der Gesellschaftsvertrag der GmbH und wesentliche Änderungen der vorherigen Zustimmung durch den Haushaltsausschuss und den Verkehrsausschuss des Deutschen Bundestages. Mitglieder des Deutschen Bundestages werden im Aufsichtsrat der Gesellschaft vertreten sein. Der fünfjährige Finanzierungs- und Realisierungsplan der Gesellschaft bedarf der vorherigen Zustimmung durch den Haushaltsausschuss und den Verkehrsausschuss des Deutschen Bundestages. Eine unabhängige externe Prüfung der Haushalts- und Wirtschaftsführung der Gesellschaft sowie möglicher Töchter wird sichergestellt, indem entsprechende Prüfrechte des Bundesrechnungshofes verankert werden. Aus der ursprünglich geplanten staatsfernen Gesellschaft ist somit eine staatliche Gesellschaft geworden, die demokratischer Kontrolle unterliegt.
Die im Regierungsentwurf angelegte Reform und teilweise Beendigung der Auftragsverwaltung für die Autobahnen ist sinnvoll. Die bundeseigene Verwaltung verspricht zügigere Baumaßnahmen und einen effizienteren Mitteleinsatz. Der Bund ist künftig durch die zentrale Steuerung weniger abhängig von der Kooperationsbereitschaft und der Leistungsfähigkeit von Landesstraßenbauverwaltungen, um seine Prioritätensetzungen bei den Verkehrsinvestitionen umzusetzen. Ferner wird der Lebenszyklus einer Bundesautobahn in den Fokus gerückt.

Entscheidend sind aber die Verbesserungen, die wir im parlamentarischen Verfahren erreicht haben. (1) Eine Privatisierung der Autobahnen und Bundesstraßen findet nicht statt; mit dem Gesetz errichten wir Schranken, wo es vorher keine gab, auch im Grundgesetz. (2) Wir haben die berechtigten Interessen der Beschäftigten geschützt und schaffen eine leistungsfähige neue Organisation, die ein attraktiver Arbeitgeber wird. (3) Der Einfluss des demokratisch gewählten Parlaments auf die Verkehrsinvestitionen bleibt gewahrt.

Ich kann die Bedenken meines Kollegen verstehen. In diesem Zusammenhang möchte ich aber auch auf die persönliche Erklärung zur Abstimmung von meiner Kollegin Kirsten Lühmann hinweisen. Frau Lühmann hat den Gesetzgebungsprozess als verkehrspolitische Sprecherin federführend für die Verkehrspolitiker der SPD-Bundestagsfraktion begleitet. In ihrer persönlichen Erklärung zur namentlichen Abstimmung sieht sie durchaus kritische Punkte, begründet ihr Abstimmungsverhalten aber folgendermaßen:

„Obwohl ich weiterhin nicht sicher bin, dass die erhofften Verbesserungen mit der vorliegenden Reform der Straßenbauverwaltung tatsächlich erreicht werden können, habe ich bei meiner Entscheidung auch die anderen Aspekte dieses Gesetzes zu berücksichtigen. Die umfassende Reform der Bund-Länder-Beziehungen ist ein wichtiger Schritt zu einer nachhaltigen Finanzierung der Länder. Zusätzlich sind die Einschränkung des Kooperationsverbots, das Investitionsprogramm für Kommunen und der Unterhaltsvorschuss für Alleinerziehende wichtige Zukunftsprojekte, die das Leben vieler Menschen spürbar verbessern werden. In Abwägung dieser Dinge und angesichts der Tatsache, dass die wesentlichen Mängel der Infrastrukturgesellschaft Verkehr einfachgesetzlich behoben werden können, stimme ich dem Gesetzentwurf zu.“

Mit freundlichen Grüßen
Dr. Carola Reimann MdB