Frage an Carola Reimann von Martin S. bezüglich Finanzen
Sehr geehrte Frau Dr. Reimann,
mit Interesse habe ich den Verlauf der "Wirtschaftskrise" verfolgt. Von der einseitigen Berichterstattung diverser Blätter möchte ich nicht sprechen, von daher speisen Sie mich bitte nicht mit ebenso einseitigen Formulierungen ab. Die nötige Fachkompetenz ist bei mir jedenfalls vorhanden, bei einigen Entscheidungsträgern auf Bundesebene vermisse ich diese Kompetenz derzeit. Ein Politiker mit Jurastudium ist noch lange kein Volks- oder Betriebswirt, wirtschaftliche Zusammenhänge werden sicherlich externe Berater analysieren und die verfolgen sicherlich mitunter ihre eigenen Interessen und politischen Ansichten. Aus welchem Grund werden Minister nicht nach Eignung, sondern nach medialer Beliebtheit berufen? Bei Krankheit werden Sie doch sicherlich einen Arzt konsultieren- und nicht die Backstube in der Nachbarschaft. Entschuldigen Sie den Vergleich, doch wie in einem Brötchen steckt in dem Bestreben der schwarz - gelben Koalition derzeit nur heiße Luft. Ist es nicht Aufgabe der Opposition den derzeitigen Stillstand durch gesunde und konstruktive Anregungen und Debatten zu beseitigen? Mit welchen Maßnahmen würden Sie den Markt stabilisieren, die Depression abzuschwächen versuchen?
Bei der Abstimmung für den griechischen Notkredit haben Sie sich enthalten; und eine Enthaltung ist meines Erachtens keine Lösung für eine gravierende Katastrophe mit Auswirkung auf die deutsche Volkswirtschaft! Zwischen einem Nein und dem Ja scheinen offenbar Gründe und Argumente zu schlummern, die mir augenscheinlich nicht plausibel erscheinen.
Wissen Sie wie falsch es ist, kranke Unternehmen oder Banken mit staatlichen Mitteln zu sanieren? Haben Sie schon einmal daran gedacht, dass sich der Markt selber heilen muss- und wird? Die Insolvenz der Commerzbank, wenn es sie überhaupt gegeben hätte, wäre keinem Bürger aufgefallen! Eine insolvente Bank wird in der Regel zügig von einem solventen Kapitalgeber geschluckt. Ganz ohne Hilfe des Steuerzahlers!! MfG
Sehr geehrter Herr Schwabe,
vielen Dank für Ihre Frage über das Portal http://www.abgeordnetenwatch.de.
Für das Ministeramt gibt es keine formalen Bildungsstandards, denn ohne Rücksicht auf seine formalen Bildung soll jeder Mensch die Chance erhalten, sich um ein öffentliches Amt zu bewerben. Zu den wesentlichen Grundprinzipien unserer Demokratie gehört gleicher Zugang zu öffentlichen Ämtern und eine möglichst breite Vertretung aller Gesellschaftsschichten im Parlament. Insofern spielt bei der Berufung der Ministerinnen und Minister in erster Linie deren Eignung für das Amt eine Rolle und nicht ihre formale Bildung.
Zudem sprechen Sie die Finanzhilfen für Griechenland an, die aufgrund der desolaten Haushaltssituation des Landes notwendig geworden sind. In den letzten Wochen und Monaten hat sich die Schuldenkrise Griechenlands dramatisch zugespitzt und damit die Stabilität des Euro gefährdet. Die finanziellen Schwierigkeiten von Griechenland wurden durch aggressive Spekulationen der Finanzakteure noch angeheizt.
Deutschland hat als führende Exportnation vor allen anderen Mitgliedstaaten das größte Interesse an einer stabilen Euro-Zone. Der Zusammenbruch ganzer Staaten in Europa und eine instabile Währung würden hunderttausende von Arbeitsplätzen in Deutschland gefährden. Die europäischen Staaten sind längst untrennbar miteinander verwoben, deshalb ist die Solidarität mit Griechenland der beste Selbstschutz für uns. Ohne gemeinsame stabile Währung hätte die Wirtschafts- und Finanzkrise unseren Kontinent noch härter getroffen.
Bundeskanzlerin Angela Merkel war schon länger bekannt, wie knapp
Griechenland vor dem Staatsbankrott steht. Aufgrund wahltaktischer Überlegungen wollte sie jedoch den Bürgerinnen und Bürgern die unangenehme Wahrheit bis zu den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen verschweigen. Durch die Vermeidung einer klaren Zusage von Unterstützung aus Deutschland sorgte sie zudem für eine Verschlimmerung der Griechenland-Krise. Angela Merkels Zögern trieb die Spekulationen auf dem Finanzmarkt in die Höhe.
Die SPD-Bundestagsfraktion unterstützt das internationale Rettungspaket und die deutsche Beteiligung daran, hält aber eine reine Kreditermächtigung für nicht ausreichend, um die Stabi¬lität der Eurozone nachhaltig zu gewährleisten. Des Weiteren haben sich die Bundeskanzlerin und die FDP dagegen gewehrt, Maßnahmen durchzusetzen, die Spekulationen in Zukunft einschränken könnten und den Finanzsektor an den Folgen dieser Spekulationen beteiligen würden. Aus diesen Gründen haben wir uns am 7. Mai 2010 bei der Abstimmung zur 2./3. Lesung des Gesetzentwurfs eines Wäh¬rungsunion-Finanzstabilitätsgesetzes der Stimme enthalten. Auch bei der Abstimmung am 21. Mai 2010 zum Euro-Rettungspaket haben wir uns konsequenterweise enthalten.
Wir Sozialdemokraten wollen auch durch deutsche Beiträge den Euro stabil halten. Es ist wich¬tig, schnell und verantwortlich zu handeln, denn wir brauchen Klarheit, um den Spekulanten Einhalt zu gebieten. Aber wir wollen darüber hinaus, dass diejenigen, die verantwortlich sind für die Krise, die Kosten tragen und deshalb eine dauer¬hafte Beteiligung des Finanzsektors an den Kosten der Krise und eine wirksame Eindämmung der immer neuen Spekulationswellen durchsetzen. Deshalb fordern wir von der Bundesregierung drastische Schritte, um in Europa gemeinsam mit den anderen Mitgliedstaaten eine Finanzmarktsteuer einzuführen.
Für den Fall, dass die konservativ-liberalen Regierungen der EU die Finanzmärkte nicht weitreichend und effizient regulieren und den Finanzsektor umfassend an den Folgekosten der aktuellen Krise beteiligen, will die SPD zusammen mit ihrer österreichischen Schwesterpartei SPÖ eine „Europäische Bürgerinitiative“ starten. Dieses Instrument wurde durch den Vertrag von Lissabon neu geschaffen und käme erstmals zum Einsatz. Damit wollen die deutschen und österreichischen Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten ihrer Forderung in ganz Europa Nachdruck verleihen und die notwendigen Regelungen auf die Tagesordnung der europäischen Politik zu setzen. SPD und SPÖ erwarten dazu vom Europäischen Parlament und vom Rat eine schnelle und unbürokratische Umsetzung der "Europäischen Bürgerinitiative" bis zum Herbst 2010.
Neben der Regulierung des Finanzmärkte haben wir als SPD zudem Vorschläge für eine neue Wirtschaftspolitik vorgelegt, um die Gefahr der Stagnation zu überwinden und neue Dynamik für unsere Wirtschaft zu ermöglichen. Die Vorschläge sehen im Wesentlichen Investitionsförderungen in Forschung und Entwicklung, in Bildung und ökologische Technologien vor, um die niedrige Investitionsquote als zentrales wirtschaftliches Problem Deutschlands zu erhöhen. So schlägt die SPD z.B. vor, mit einer ökologischen Industriepolitik Impulse auf dem so genannten „Cleantech-Markt“ auslösen. Bund, Länder und Gemeinden geben jedes Jahr über 200 Milliarden aus und könnten diese Marktmacht nutzen, um gezielt nach ökologischen Kriterien einzukaufen. Damit kann der Staat die Nachfrage für innovative Clean-Tech-Lösungen ankurbeln, ohne die öffentlichen Haushalte zusätzlich zu belasten. Auch wollen wir auch den „Deutschlandfonds“ besser nutzen, den wir im Rahmen der Großen Koalition aufgelegt haben, da bisher nur ca. 10 Prozent der Kreditermächtigungen abgerufen wurden. Mit den Krediten wollen wir Risikokapital für Unternehmensgründer bereitstellen, damit neue Ideen den Durchbruch zum Markt schaffen. Das SPD-Diskussionspapier „Mit neuen Investitionsimpulsen aus der Krise“ können Sie unter http://www.spd.de downloaden.
Den Gedanken, dass der Markt die auftretenden Probleme selbst heilen könne, halte ich für gefährlich. Wen dem so wäre, würden wir keine sozialpolitischen Maßnahmen benötigen, um Marktversagen zu korrigieren. Gerade die Finanzkrise zeigt, dass der Marktmechanismus auf den Geld- und Kapitalmärkten nicht mehr zu optimalen Ergebnissen führt. Der Zusammenbruch der US-Bank Lehmann Brothers hätte bei Tatenlosigkeit der rot-schwarzen Bundesregierung auch in Deutschland zu weitere Bankeninsolvenzen geführt und damit eine Kettenreaktion ausgelöst, deren Konsequenzen nicht absehbar waren.
Eine weitere Folge des Zusammenbruchs internationaler Banken war, dass auch die Kreditvergabe der Banken untereinander fast zum Erliegen kam. Diese Kreditklemme wäre insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen gefährlich geworden, denn für sie gibt es keine Alternative zur Kreditfinanzierung, um notwendige Investitionen zur Aufrechthaltung der Wettbewerbsfähigkeit zu tätigen. Da die kleinen und mittelständischen Unternehmen in Deutschland jeden zweiten Arbeitsplatz stellen, hätte ein Engpass bei Krediten fatale Auswirkungen auf den Wirtschaftstandort Deutschland gehabt. Diese Gefahr konnte nur durch staatliche Beteiligung an Banken sowie finanziellen Hilfen für Kreditinstitute und Garantien abgewendet werden.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Carola Reimann MdB