Frage an Caren Marks von Hermann Dr. M. bezüglich Familie
Sehr verehrte Frau Marks,
zum Thema Familienpolitik hatten wir letzten Freitag eine kleine Besprechung am Rande Ihres Auftritts in Garbsen. Ich hatte Ihnen die mir bekannt gewordenen Daten hinsichtlich der Belastung der Familien durch das Aufziehen von Kindern vorgetragen: „430 000 Euro pro Kind bis zum 25. Lebensjahr. Davon tragen die Eltern 61% selbst, den Rest übernimmt der Staat durch Rückgriff auf das Steuereinkommen, an dem die Eltern ebenfalls noch einmal beteiligt sind.“
Die von Ihnen angeführte Ausgabe des Staates von ca. 170 Milliarden Euro jährlich für die Förderung der Kinder bzw. Familien ist sicherlich eine gewaltige Summe - möglicherweise gibt es keinen anderen Staat in Europa, der zu diesem Zwecke derart „tief in seine Tasche greift“. Dennoch: Die oben angeführten Eingangsdaten machen deutlich, dass die Zukunftssicherung unserer Gesellschaft durch das Aufziehen von Kindern wirtschaftlich eine gravierende Asymmetrie zwischen den Familien einerseits und den Kinderlosen andererseits zur Folge hat. Als Vater von drei mittlerweile erwachsenen Kindern, die nach erfolgreichem Ingenieurstudium nun die Industrieplattform Deutschland stützen, sind mir die Jahrzehnte des knappen privaten Geldes noch sehr gut in Erinnerung. Zu Anfang der 1980er Jahre hat Gräfin Dönhoff in der ZEIT in einem umfangreichen Artikel darauf hingewiesen, dass die Deutschen wohl jährlich 25 Milliarden DM für Fernurlaube ausgeben; dass diese Summe aber auch der Betrag ist, den die Deutschen an Humankapital einsparen, indem nicht genügend Kinder geboren und aufgezogen werden.
Sicherlich ist Ihr Hinweis richtig, dass es nicht allen Menschen vergönnt ist, Kinder in die Welt setzen zu können. Aber ist das wirklich ein Grund, die Kinderlosen so weitgehend von den Kosten der Zukunftssicherung zu entlasten, wie es bei uns seit der Rentenreform anno 1957 geschieht?
Mit freundlichem Gruß
Dr. Hermann Meyer, Garbsen, den 1.9.2009
Sehr geehrter Herr Dr. Meyer,
obwohl ich Ihnen meine Auffassung über das Thema bereits mehrfach mitgeteilt habe, will ich das gern noch einmal auch in diesem Forum tun. Es ist nicht richtig, dass Menschen ohne Kinder nicht angemessen herangezogen würden zur Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme und der Ausgaben für Familien. Sie werden als Ausgleich höher besteuert und finanzieren z.B. durch ihre Beiträge in der gesetzlichen Krankenversicherung die kostenlose Familienversicherung von Kindern mit. Außerdem bezahlen sie höhere Pflegeversicherungsbeiträge. Es ist auch nicht richtig, dass der Staat nichts für Familien tut. Man kann darüber streiten – und das tue ich auch –, ob das Geld, das der Staat Familien zur Verfügung stellt, nicht besser eingesetzt werden kann. Gerade heute ist in der Presse aus einer neuen OECD-Studie zitiert worden, dass Deutschland im internationalen Vergleich viel ausgibt für Familien und Kinder, dass aber dennoch die Kinderarmut viel zu hoch ist. Andere Länder investieren mehr in Kinderbetreuung und Bildungseinrichtungen. In Deutschland wird vorwiegend Geld direkt oder über Steuerfreibeträge und Ehegattensplitting an die Familien gezahlt. Das muss sich meiner Meinung nach ändern, damit die Kinder auch wirklich profitieren. Die SPD hat in den elf Jahren Regierungsverantwortung deutlich mehr Geld für die direkte und indirekte Familienförderung aufgewendet (z.B. Kindergelderhöhung, Wohngelderhöhung, Bafögerhöhung, 4 Milliarden für Ganztagsschulen, 4 Milliarden für den Ausbau der Krippenplätze). Die SPD will noch mehr Geld in die Bildung investieren, weil das Kindern Chancen eröffnet. Wir setzen uns für einen Bildungssoli ein. Der Spitzensteuersatz soll dafür von 45% auf 47% angehoben werden (für Singles ab 125.000 Euro Jahreseinkommen, für Paare ab 250.000 Euro). Was mich an Ihrer Argumentation stört, ist die rein materielle Betrachtungsweise. Sie stellen Kinder vorwiegend als Belastung dar. Natürlich erfordert es Verzicht, wenn man Kinder hat, nicht nur in materieller Hinsicht. Aber bereichern Kinder nicht unser Leben in vielfacher Hinsicht? Ist es nicht ein Geschenk, Kinder auf ihrem Weg zu begleiten und in einer Familie zu leben? Vielen Menschen ist das nicht vergönnt. Es gibt viele Gründe, keine Kinder zu haben, nicht nur medizinisch bedingte Kinderlosigkeit. Wollen Sie z.B. Menschen dafür „bestrafen“, dass sie keinen Partner finden, mit dem sie Kinder haben können? Die Entscheidung für Kinder ist eine ganz und gar individuelle Entscheidung, die wir alle zu respektieren haben. Ich lehne es ab, Menschen ihre Lebensweise vorzuschreiben bzw. vorzuhalten. Ich kämpfe als Familienpolitikerin vielmehr dafür, dass da, wo Kinder sind, eine angemessene Förderung stattfindet, dass alle den gleichen Zugang zu Bildung haben, dass Familie und Beruf miteinander vereinbart werden können und dass Kinder nicht in Armut aufwachsen. Ich setze mich in Berlin und in meinem Wahlkreis für eine kinderfreundliche Gesellschaft ein. Die Verantwortung für Kinder liegt aber nicht ausschließlich beim Staat, sondern auch bei den Familien selbst. Bei den unzähligen Gesprächen, die ich mit Familien führe, wünschen sich die meisten mehr verlässliche und qualitativ gute Betreuungs- und Bildungsangebote. Familien wollen gute und gerechte Lebenschancen für ihre Kinder und sehen sie nicht in erster Linie als Kostenfaktor, den der Staat durch Umverteilung komplett auszugleichen hat.
Mit freundlichen Grüßen
Caren Marks, MdB