Frage an Burkhard Peters von Jürgen B. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Peters,
in Niedersachsen soll mit den Stimmen der Grünen das Polizeigesetz für die Bürgerinnen und Bürger dramatisch verschärft werden. So soll eine Nichtbevolgung einer Polizeimaßnahme, z.B. eine friedliche Sitzblockade, mit einem Bußgeld bestraft werden, was bisher nicht der Fall ist.
Leider ist dann auch vorstellbar, dass jegliche Handlungen, die aus Zivilcourage geschehen und die demokratische Pflicht sind, strafbar werden. Damit wird ein Tatbestandsrecht installiert, das friedlichen zivilen Ungehorsam quasi unmöglich macht (s. http://www.heise.de/tp/features/Bussgelder-fuer-ungehorsame-Buerger-3501535.html ).
Dass ausgerechnet die Grünen solch ein Gesetz mittragen, ist ein Skandal.
Ich möchte Sie fragen, wie ich einem Kandidaten oder einer Kandidatin der Grünen bei der nächsten Landtagswahl meine Stimme geben soll, wenn die Grünen offensichtlich alle Werte, für die sie einmal standen (Bürgerrechte, Zivilgesellschaft, Kontrolle der Exekutive etc.), um der Macht willen über Bord werfen, und sich von den Hardlinern der CDU und der CSU in diesem Fall in nichts mehr unterscheiden?
Mit entsetzten Grüßen über die Entwicklung der Politik der Grünen
J.Georg Brandt
Sehr geehrter Herr Brandt,
zunächst würden meine Fraktion und ich uns gegen die Einführung eines Bußgelds für Zuwiderhandlungen gegen die Anordnungen von PolizistInnen vehement verwahren. Solche Bußgelder gibt es im Schleswig-Holsteinischen Landesrecht nicht, und es gibt auch keine diesbezüglichen Bestrebungen.
Ohne vertiefte Kenntnisse der niedersächsischen Gesetzeslage habe ich den Eindruck, dass zumindest eine Anwendung von Bußgeldern auf Sitzblockaden bei Versammlungen möglicherweise nicht intendiert ist, vor dem Hintergrund von § 17 Absatz 4 Satz 4 des geltenden Gesetzes: "Die Vorschriften des Versammlungsrechts bleiben unberührt" - der ja nach dem neuen Gesetzentwurf unverändert bleiben soll.
Auf Nachfrage bei den KollegInnen in Niedersachsen hat man mir versichert, dass das aktuelle Gesetzesvorhaben in erster Linie eine Reihe von Verbesserungen der Bürgerrechte enthalte, die als Gesamtpaket zu betrachten seien. Es werde neben zahlreichen anderen positiven Punkten beispielsweise die Höchstdauer der Ingewahrsamnahme von 10 auf 4 Tage gesenkt, die verdachts- und ereignisunabhängigen Kontrollen würden erheblich eingeschränkt und die Videoüberwachung im öffentlichen Raum unter klare Voraussetzungen gestellt. Nachzuprüfen ist all dies in dem auf der Webseite des niedersächsischen Landtags öffentlich zugänglichen Entwurf, Drucksache 17/6232. Gegen Ihre Behauptung, dass sich die Grünen von der CDU nicht unterscheiden würden, würde ich auch zu bedenken geben, dass der Gesetzentwurf von der dortigen CDU mit den Worten „Rot-Grüner Gesetzentwurf atmet den Geist des Misstrauens gegen die Polizei“ scharf angegriffen wird.
Dass es im Rahmen eines größeren Änderungspakets innerhalb einer Koalition grundsätzlich auch zu Zugeständnissen kommen muss, das kennen wir auch in Schleswig-Holstein, denn natürlich ist es nicht immer möglich, sich als kleinerer Koalitionspartner in allen Punkten durchzusetzen. Gerade im innenpolitischen Bereich wird unsere Arbeit zunehmend erschwert durch ein politisches und mediales Klima, in dem alle nur noch von „verschärfter Sicherheitslage“ und „gefühlter Unsicherheit“ sprechen, was von den einschlägigen Interessenverbänden und politischen Akteuren natürlich konsequent genutzt wird. Daher können wir zumindest nachvollziehen, weshalb der Gesetzentwurf wohl auch die eine oder andere sicherheitspolitische Verschärfung enthält.
Wir Grünen aber setzen uns stets vehement und auf allen Ebenen gegen symbolpolitische Strafverschärfungen und Einschränkungen von Bürgerrechten ein. Wir würden uns wünschen, dass man uns hier aber auch mit Blick auf unsere Möglichkeiten beurteilt und nicht jede von anderen Parteien durchgesetzte Fehlentwicklung ausgerechnet uns zuschreibt. Ich weiß nicht, wie es sich in Niedersachsen verhält, doch jedenfalls wir Grünen in Schleswig-Holstein können, auch dank der - noch - günstigen politischen Konstellation in unserem Landtag mit einer durchaus progressiven SPD und den Piraten in der Opposition, eine starke Erfolgsbilanz in Bezug auf die von Ihnen angesprochenen Grünen Kernwerte vorweisen. Zum Beispiel mit der Wahlrechtsreform, der Schaffung eines zentralen Informationsregisters, der Einrichtung einer Polizeibeauftragtenstelle, Einführung einer Kennzeichnungspflicht für PolizeibeamtInnen bei Demos und ähnlichen Einsätzen, Reform des Versammlungsrechts, deutliche Einschränkung der polizeilichen Gefahrengebiete, Vergütungsoffenlegungsgesetz, Nebeneinkünfte von Abgeordneten, Karenzzeitgesetz sowie nicht zuletzt der Abwehr zahlloser Hardlinerbestrebungen der CDU. In diesem Sinne wollen wir auch weiterhin arbeiten.
Mit freundlichen Grüßen aus Kiel
Burkhard Peters