Frage an Brigitte Zypries von Andreas R. bezüglich Jugend
Sehr geehrte Frau Zypries,
ich wende mich - obwohl das Thema schon in der Suchfunktion auftaucht - wegen des gemeinsamen Sorgerechts bei unverheirateten Paaren an Sie. Bekanntermaßen wird es in der Praxis nur ausgeübt, wenn die Mutter dem zustimmt, was den Vater des Kindes in eine Bittsteller-Rolle drängt.
Doch gibt es für meine Begriffe einen ganz anderen und grundsätzlich als am wichtigsten zu wertenden Punkt, der von der aktuellen Gesetzeslage in Deutschland nicht adressiert wird: Die universellen Grundbedürfnisse eines Kindes, welche durch alle Kulturen, Kontinente und Jahrtausende die gleichen waren und sind.
Selbige sind nicht nur physischer Natur wie Essen, Trinken, Dach über dem Kopf, sondern vor allem auch psychischer Natur wie Schutz, Sicherheit, Liebe, Fürsorge, Geborgenheit, etc. Diese Ur-Bedürfnisse zu respektieren ist mE das höchste Rechtsgut schlechthin und das wichtigste Fundament unserer Kultur, insofern noch als "virtueller" Abs.1 des GG zu sehen.
Bei Streitigkeiten von getrennten Paaren werden diese Grundrechte des Kindes in der Praxis häufig nicht als erste Priorität gesehen, manchmal sogar ignoriert. Wenn Eltern - aus welchen Gründen auch immer - ihrer Verantwortung, diese Ur-Bedürfnisse zu erfüllen, nicht nachkommen, dann muss der Gesetzgeber die Voraussetzungen etablieren, um die Eltern zu dieser Verantwortung anzuhalten.
Insofern wäre es für mich persönlich die dringendste Gesetzesreform überhaupt, da Väter zZ ihrer aus ihrer Verantwortung abzuleitenden Verpflichtung, für das Kind Sorge zu tragen, nicht nachkommen können - was nur mit einem gemeinsamen Sorgerecht möglich ist.
Es soll da wohl auch ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes zu geben oder kommen (?); auch diesbezüglich würde ich gerne Ihre Meinung hören.
Herzlichen Dank, viele Grüße, Rödiger
Sehr geehrter Herr Rödiger,
nach § 1626a des Bürgerlichen Gesetzbuchs steht Eltern, die bei der Geburt ihres Kindes nicht miteinander verheiratet sind, die elterliche Sorge dann gemeinsam zu, wenn sie erklären, dass sie die Sorge gemeinsam übernehmen wollen oder einander heiraten. Ansonsten steht die elterliche Sorge der Mutter alleine zu.
Hauptgrund für diese Regelung ist das Kindeswohl. Denn nichteheliche Kinder werden nicht nur in intakten Lebensgemeinschaften geboren, sondern nach wie vor auch im Rahmen flüchtiger und instabiler Beziehungen. Der Gesetzgeber hatte die Annahme, dass unverheiratete Eltern nicht ohne weiteres die für die gemeinsame elterliche Sorge notwendige Kooperationsfähigkeit besitzen und daher die gemeinsame Sorge vom übereinstimmenden Willen beider Elternteile abhängig gemacht. Der Gesetzgeber nahm an, dass eine Mutter, die mit dem Kindesvater zusammenlebt und trotzdem keine Sorgeerklärung abgibt, dafür schwerwiegende Kindeswohlgründe hat.
Das Bundesverfassungsgericht hat mit Urteiil vom 29. Januar 2003 das Regelungskonzept des § 1626a BGB im Wesentlichen für verfassungskonform erklärt. Es hat dem Gesetzgeber aber aufgegeben, die von ihm getroffenen Annahmen zu überprüfen. Das Bundesministerium der Justiz hat zu diesem Zweck ein Forschungsvorhaben zum Thema "Gemeinsames Sorgerecht nicht miteinander verheirateter Eltern" in Auftrag gegeben. Ich halte es nicht für sinnvoll, eine Gesetzesänderung ohne fundierte Grundlage herbeizuführen. Mit dem Forschungsvorhaben wird in Kürze begonnen; Ergebnisse sind nicht vor Ende des Jahres 2010 zu erwarten.
In dem beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anhängigen Verfahren (Individualbeschwerde Nr. 22028/04), in dem es unter anderem auch um die Regelung des § 1626a BGB geht, ist bislang noch keine Entscheidung ergangen.
Mit freundlichen Grüßen
Brigitte Zypries