Portrait von Brigitte Zypries
Brigitte Zypries
SPD
Zum Profil
Frage stellen
Die Frage-Funktion ist deaktiviert, weil Brigitte Zypries zur Zeit keine aktive Kandidatur hat.
Frage von Dr. Andreas van A. •

Frage an Brigitte Zypries von Dr. Andreas van A. bezüglich Recht

Sehr geehrte Frau Zypries,

hiermit möchte ich Ihre Aufmerksamkeit auf die Situation von unschuldig Inhaftierten lenken. Wie Sie dem folgendem Artikel ( http://www.stuttgarter-zeitung.de/stz/page/detail.php/1934518 ) entnehmen können, geht es mir dabei um zwei Punkte.

1. Unschuldig Inhaftierte sind zwangsläufig sogenannte Tatleugner und werden daher als solche schwerer bestraft, als richtige Täter.

2. Die Wiederaufnahme von Verfahren ist in Deutschland derartig erschwert, dass unschuldig Inhaftierte kaum eine Chance haben.

Könnte Sie bitte zu beiden Punkten Stellung nehmen und mir erklären, warum sich die Situation für unschuldig Inhaftierte in Deutschland immer noch nicht gebessert hat und ob in naher Zukunft diesbezüglich Initiativen zu erwarten sind?

Mit freundlichen Grüßen

A. van Almsick

Portrait von Brigitte Zypries
Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Dr. van Almsick,

die Vorschriften über die Wiederaufnahme eines abgeschlossenen Verfahrens sind in der Tat sehr eng gefasst. Denn es müssen die beiden aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleiteten widerstreitenden Grundsätze in Einklang gebracht werden: der Grundsatz der Gerechtigkeit im Einzelfall einerseits und der der Rechtssicherheit, die mit dem endgültigen Abschluss eines Verfahrens verbunden ist, andererseits. Der Konflikt zwischen diesen beiden Grundsätzen wird mit dem Rechtsinstitut der Wiederaufnahme dadurch gelöst, dass zwar um der materiellen Gerechtigkeit willen das Prinzip der Rechtssicherheit durchbrochen wird. Die Durchbrechung ist jedoch an eine eng begrenzte Anzahl besonderer Ausnahmetatbestände und an bestimmte formelle Voraussetzungen gebunden.

Ich habe dennoch keine Zweifel, dass es für einen zu Unrecht Verurteilten auch nach der aktuellen Rechtslage möglich ist, die Wiederaufnahme eines Verfahrens zu erlangen, sofern tatsächlich Gründe hierfür vorliegen.

Soweit Sie darüber hinaus eine unangemessen hohe Bestrafung von Straftätern, die ihre Tat leugnen, befürchten, darf ich Folgendes anmerken:

Im deutschen Strafprozessrecht gilt der Grundsatz, dass niemand verpflichtet ist, sich selbst zu belasten. Hieraus folgt, dass der Angeklagte keinem Geständniszwang unterliegt oder zur Aufklärung des Sachverhalts verpflichtet ist. Darüber hinaus leitet sich aus dem Recht auf Verteidigung ab, dass ein Angeklagter im Rahmen eines zulässigen Verteidigungsverhaltens die Tatbegehung auch hartnäckig leugnen kann. Daher gilt auch der Grundsatz, dass dieses Verhalten nicht straferschwerend bei der Strafzumessung nach § 46 des Strafgesetzbuches (StGB) berücksichtigt werden darf. Entgegen der Darstellung des von Ihnen zitierten Artikels der Stuttgarter Zeitung steht ein Leugnen der Tat grundsätzlich auch nicht einer Entlassung aus dem Strafvollzug zum 2/3–Zeitpunkt entgegen (BVerfG NJW 1998, 2202).

Mit freundlichen Grüßen
Brigitte Zypries