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Frage von Konrad F. •

Frage an Brigitte Zypries von Konrad F. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrte Frau Ministerin Zypries,

der Chaos Computer Club veröffentlichte am 13. Februar 2009 einen Vertragsentwurf der geheim zwischen dem BKA und einigen deutschen Internet Service Providern (ISPs) geschlossen werden sollte [1]. In diesem werden die ISPs verpflichtet Domains auf einer Liste, die vom BKA gestellt wird, für die Kunden der ISPs zu blockieren. All dies erfolgt geheim und ohne gesetzliche Grundlage. Die bisher von Familienministerin von der Leyen vorangetriebenen Bemühungen der Internetzensur sind nach Aussagen von Experten [2], die im Unterausschuss Neue Medien eingeladen wurden, im allgemeinen wirkungslos.

Kinderpornographische Inhalte sind nicht zu dulden und müssen ohne jede Frage bekämpft werden, aber die hier vorgeschlagenen Maßnahmen lassen sich sehr einfach vom technisch Versierten umgehen, bieten aber eine große Gefahr als Zensurmittel zu dienen. Dieser momentane Aktionismus der anscheinend ohne technisches Grundwissen fahrlässig oder vielleicht sogar bewusst geplant ist, stellt einen Angriff auf die Grundpfeiler der Demokratie dar. Es scheint , als habe der "Kampf gegen Terror" ausgedient und nun werde der "Kampf gegen Kinderpornographie" genutzt, um Überwachungs- und Kontrollwahn zu rechtfertigen und Gesetzen zur Stärkung der kommerziellen Inhalteanbieter durchzupeitschen.

Ich würde gerne Ihren Standpunkt mit entsprechender Begründung zu der geheimen Internetzensur durch das BKA und zukünftige Maßnahmen hören.

Herzlichen Dank und viele Grüße

Dr. Konrad Förstner

[1] http://ccc.de/updates/2009/filter-pm
[2] http://www.heise.de/newsticker/Experten-betrachten-geplante-Kinderporno-Sperrmassnahmen-als-wirkungslos--/meldung/132482

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Dr. Förster,

ich teile Ihre Bedenken im Grundsatz und habe deshalb Folgendes an Frau von der Leyen geschrieben:

"… Diese Vertragslösung birgt erhebliche verfassungsrechtliche Risiken. Effektive Sperrmaßnahmen – aus welchen Gründen auch immer – bedürfen meines Erachtens einer klaren gesetzlichen Grundlage. Sperrmaßnahmen im Internet, egal zu welchem noch so berechtigten Zweck, betreffen Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger. Daher geht es hier um eine grundsätzliche Weichenstellung, ob und wie man Sperrmaßnahmen rechtlich korrekt durchführen kann.

Betroffen ist in erster Linie das Fernmeldegeheimnis, Artikel 10 GG. Dieses Grundrecht schützt auch die Kommunikation im Internet. Access Blocking bedeutet, dass die gesamte Kommunikation im Internet, also auch die Kommunikation von Millionen völlig unbescholtener Internetbenutzer, gefiltert werden muss. Jeder einzelne Datenstrom muss bei einer effektiven Sperrmaßnahme daraufhin überprüft werden, ob mit ihm kinderpornographische Inhalte abgerufen werden sollen. Dabei wird gezielt von Verkehrs- und unter Umständen auch von Inhaltsdaten Kenntnis genommen. Diese Kenntnisnahme bedeutet einen Eingriff in das Fernmeldegeheimnis. Die Schwere des Grundrechtseingriffs richtet sich danach, ob Verkehrs- oder Inhaltsdaten betroffen sind.

Zusätzlich können weitere Grundrechte der Beteiligten betroffen sein (Artikel 5 GG, Artikel 12 GG, das Recht auf informationelle Selbstbestimmung); jedenfalls wäre Artikel 2 Absatz 1 GG einschlägig.

Unmittelbare Urheber des Eingriffs sollen bei der Vertragslösung zwar die Accessprovider sein. Das enthebt den Staat jedoch nicht seiner Verantwortung. Es ist das Bundeskriminalamt, das nach der Vertragslösung die "Blacklist" mit den vollqualifizierten Domainnamen erstellt und die Accessprovider auffordert, den Zugang zu diesen Seiten zu erschweren. Staatliche Grundrechtseingriffe setzen nicht zwingend voraus, dass die Beeinträchtigung unmittelbar durch den Staat erfolgt. Es genügt, dass die grundrechtsbeschränkende Wirkung auf einem der öffentlichen Gewalt zurechenbaren Verhalten beruht. Das wird man hier bejahen müssen. Denn die Vertragslösung, nach der die Internet Service Provider durch Abschluss eines Vertrags möglichst flächendeckend zu den Sperrmaßnahmen verpflichtet werden sollen, ist in ihrer Zielsetzung und Wirkung nichts anderes als ein Ersatz für eine staatliche Maßnahme, die unzweifelhaft als Grundrechtseingriff zu qualifizieren wäre. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts können durch die Wahl eines solchen funktionalen Äquivalents eines Eingriffs die besonderen Bindungen der Rechtsordnung nicht umgangen werden; vielmehr müssen die für die Grundrechtseingriffe maßgebenden rechtlichen Anforderungen erfüllt sein (siehe BVerfGE 105, 252,273). Im Übrigen sind auch die Provider einfachgesetzlich über § 88 TKG an das Fernmeldegeheimnis gebunden.

Der Grundrechtseingriff entfällt meines Erachtens auch nicht dadurch, dass die Accessprovider in ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen (ABG) eine Klausel aufnehmen, nach der sie berechtigt sein sollen, den Zugang zu kinderpornographischen Seiten zu sperren. Zwar ist es jedem Grundrechtsträger grundsätzlich möglich, vorab in eine Beschränkung seines Grundrechts einzuwilligen; das gilt auch im Hinblick auf das Fernmeldegeheimnis nach Artikel 10 GG. Es bestehen jedoch erhebliche Zweifel, ob bei der angedachten Vertragslösung von einer Freiwilligkeit ausgegangen werden kann. Erklärtes Ziel dieser Lösung ist es, gleichlautende AGB der großen und marktbeherrschenden Anbieter zu erwirken. Wenn dies erreicht wird, sind die Kunden faktisch gezwungen, die Klausel hinzunehmen, möchten sie nicht völlig auf einen Internetzugang verzichten. Dieser Zwang ginge letztlich auf den Staat zurück.

Die Vertragslösung bietet auch keine hinreichenden Möglichkeiten, Regelungen zum Schutz der betroffenen Grundrechte vorzusehen. Ich denke da insbesondere an Verfahrenssicherungen, die gewährleisten, dass keine legalen Inhalte auf die "Blacklist" gelangen, und an die Gewährung von Rechtsschutz.

Die von Ihrem Haus zusammen mit dem Bundesministerium des Innern und dem Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie vorgenommene vorläufige Einschätzung zur Frage der Strafbarkeit des vorgesehenen Vorgehens nach Zugangssperrung im Hinblick auf § 206 StGB halte ich für vertretbar, soweit der sogenannte Stopp-Server ausschließlich vom jeweiligen Internetserviceprovider betrieben wird und lediglich statistische Angaben an das Bundeskriminalamt übermittelt werden. Eine Strafbarkeit der Inhaber oder Beschäftigten des Internet Service Providers nach § 206 StGB kommt allerdings in Betracht, wenn der sogenannte Stopp-Server von Dritten geführt würde oder wenn der Internet Service Provider Daten an Externe übermittelt, die Rückschlüsse auf die Person zulassen, die versucht hat, auf die gesperrte Seite zuzugreifen. Denn dabei dürfte es sich um eine unbefugte Mitteilung über Tatsachen handeln, die dem Fernmeldegeheimnis unterliegen (§ 206 Absatz 1, Abs. 5 Satz 3 StGB).

Nicht unerwähnt lassen möchte ich schließlich Bedenken hinsichtlich der Zuständigkeit des Vertragspartners. Das Bundeskriminalamt soll nach dem Vertragsentwurf nicht im Bereich der Strafverfolgung, sondern im Bereich der Gefahrenabwehr tätig werden. Präventive Aufgaben hat das Bundeskriminalamt aber nur im Bereich der Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus.

Darüber hinaus erlaube ich mir den Hinweis, dass bereits der Versuch, sich zu kinderpornographischen Seiten Zugang zu verschaffen, strafbar ist, § 184 Absatz 4 StGB. Bei Weiterleitung auf einen Stopp-Server dürften die für eine Strafverfolgung nötigen personenbezogenen Daten vorhanden sein, auf die die Strafverfolgungsbehörden zugreifen können (§ 100 g StPO). Die Strafverfolgungsbehörden müssten das Offizialdelikt dann verfolgen. Ihr Ansatz, nur präventiv tätig werden zu wollen, wird sich daher mit dieser Lösung nicht verwirklichen lassen. …"

Die SPD - und auch ich persönlich - setzen sich dafür ein, dass möglichst bald eine gesetzliche Grundlage geschaffen wird. Diese muss begrenzt sein auf Kinderpornographie und präzise rechtliche Anforderungen erfüllen.

Mit freundlichen Grüßen
Brigitte Zypries