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Frage von Patrick S. •

Frage an Brigitte Zypries von Patrick S. bezüglich Arbeit und Beschäftigung

Sehr geehrte Frau Zypries,

wie ich einem Beitrag von "Report München" entnehmen musste, scheinen sich im aktuellen Insolvenzrecht wahre Abgründe aufzutun und ich möchte insistieren, dass Sie und Ihre Kollegen sich schleunigst, im Sinne der betroffenenen Bürgerinnen und Bürger, darum kümmern und zeitnah Abhilfe schaffen.

Darf ich Fragen, welche Sympathien Sie noch für Ihre Partei erwarten, wenn Sie sich nicht für eine gerechte Bestimmung einsetzen, die ArbeitnehmerInnen davor schützt, von Insolvenzverwaltern (gezwungener Maßen) ausgenommen zu werden?

Um das Problem kurz zu erläutern:
ArbeitnehmerInnen sind im Falle eines Falles gezwungen(!) ihrem ArbeitgeberIn verspätete Lohnzahlungen durchgehen zu lassen, da eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses (durch den Arbeitnehmer/die Arbeitnehmerin) von den Arbeitsämter zu Ungunsten des Arbeitnehmers/der Arbeitnehmerin ausgelegt wird und diese entsprechend mit Nachteilen zu rechnen hätten.
Im Falle einer Insolvenz des Betriebes geschieht Folgendes: "Akzeptiert ein Arbeiter verspätete Zahlungen, wird er zum Kreditgeber seines Chefs und wird anderen Gläubigern gleichgestellt. Alle Zahlungen der letzten drei Monate vor der Insolvenz können angefochten werden."

Die Konsequenzen liegen auf der Hand: ArbeitnehmerInnen werden trotz geleisteter Arbeit zur Kasse gebeten! Dagegen wehren können sie sich nicht!

Dies ist ein unhaltbarer Zustand und meine Frage lautet: Was gedenken Sie, Frau Zypries, und ihre Parteigenossen zu tun, um Arbeitnehmer vor einer derartigen Praxis zu schützen und wie wollen Sie den derzeit betroffen helfen?

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit,
Patrick Seele

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Seele,

die Insolvenzanfechtung von Lohnnachzahlungen kommt in der Praxis sehr selten vor. Die Insolvenzanfechtung von Lohnnachzahlungen erregt zwar erhebliche publizistische Aufmerksamkeit, es handelt sich nach hiesigem Kenntnisstand jedoch nach wie vor eher um Einzelfälle. Die Insolvenzverwalter sehen davon meist ab, weil die Forderungen nicht mit Erfolg gegen den Arbeitnehmer geltend gemacht werden können oder die Arbeitnehmer bei der Betriebsfortführung ein Zurückbehaltungsrecht geltend machen.

Von ganz entscheidender Bedeutung ist, dass regelmäßige Lohn- und Gehaltszahlungen nicht angefochten werden können. Von der Anfechtung sind somit allenfalls Lohnnachzahlungen betroffen. Erfolgt die Zahlung spätestens 30 Tage nach der Erbringung der Dienstleistung, so ist eine Insolvenzanfechtung regelmäßig ausgeschlossen. Dies wird in der Öffentlichkeit nicht immer zutreffend dargestellt.

Hat der Arbeitnehmer seinem Arbeitgeber den fälligen Lohn über einen längeren Zeitraum hin gestundet und ihm damit einen Kredit gegeben, so ist eine Anfechtung möglich, wenn der Insolvenzverwalter nachweist, dass der Arbeitnehmer die Zahlungsunfähigkeit beim Erhalt der Nachzahlung kannte. Die Situation des Arbeitnehmers ist dann mit der des Vermieters, Lieferanten oder Handwerkers vergleichbar, der in der Hoffnung auf eine für ihn oftmals existenzielle Fortsetzung der Geschäftsbeziehung auf sofortige Bezahlung verzichtet und die Geschäftsverbindung "auf Kredit" fortsetzt. Die Insolvenzanfechtung von Lohn- und Gehaltszahlungen ist von vornherein ausgeschlossen, wenn es sich um regelmäßige Lohnzahlungen und damit um ein "Bargeschäft" im Sinne des § 142 Insolvenzordnung handelt. Die Zahlung darf nicht später als 30 Tage nach Erbringung der Dienstleistung erbracht werden.

In den seltenen Fällen der Anfechtung dient diese dazu, die Gleichbehandlung der Gläubiger zu sichern. Es soll etwa vermieden werden, dass der Arbeitgeber einigen ihm besonders nahe stehenden Arbeitnehmern den Lohn in voller Höhe nachzahlt, während die anderen Arbeitnehmer leer ausgehen. Werden die Löhne pünktlich bezahlt, so besteht für die Arbeitnehmer, sofern keine sonstigen Anhaltspunkte vorliegen, keine Notwendigkeit, sich über die Solvenz ihres Arbeitgebers Gedanken zu machen. Werden die Löhne unregelmäßig bezahlt, so haben die Arbeitnehmer zwar von Zahlungsschwierigkeiten oder Zahlungsstockungen ihres Arbeitgebers auszugehen, müssen aber nicht zwingend auf eine Zahlungsunfähigkeit schließen.

Nachdrücklich möchte ich dem Eindruck widersprechen, die Arbeitnehmer seien nach der geltenden Rechtslage nahezu schutzlos. Zunächst ist auf das bereits erwähnte Zurückbehaltungs- und Kündigungsrecht der Arbeitnehmer bei Nichtzahlung des Arbeitsentgelts zu verweisen. Insbesondere möchte ich jedoch an den Insolvenzgeldanspruch erinnern. Das Insolvenzgeld sichert das gesamte Arbeitsentgelt einschließlich Zuschlägen für Überstunden, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, anteiligen Urlaubsvergütungen und Weihnachtsgratifikationen etc. für die dem Insolvenzereignis vorausgehenden letzten drei Monate der Beschäftigung. Damit wird gewährleistet, dass jeder Arbeitnehmer in der Insolvenz seines Arbeitgebers jedenfalls drei offene Monatsgehälter in voller Höhe erstattet bekommt.

Angesichts dessen sehe ich keine Notwendigkeit für gesetzliche Änderungen. Das Bundesministerium der Justiz wird jedoch die Weiterentwicklung in diesem Bereich sehr sorgfältig beobachten, um bei einer missbräuchlichen Ausnutzung der Insolvenzanfechtungen zügig Maßnahmen zu ergreifen.

Mit freundlichen Grüßen
Brigitte Zypries