Frage an Brigitte Zypries von Andreas F. bezüglich Recht
Guten Tag, Frau Zypries,
seit dem 01.09.2008 ist das neue UrhG in Kraft, welches unter bestimmten Bedingungen eine Deckelung von Abmahnkosten und Beschränkungen des Auskunftsanspruch der Rechteinhaber gegen die Provider vorsieht. Eine wesentliche Voraussetzung für die Anwendung dieser Regelungen, ist dass die Verbreitung nicht im gewerblichen Ausmaß stattfindet.
Gerade über den Ausdruck in gewerblichen Ausmaß urteilen die Gerichte sehr unterschiedlich. Während das LG Köln, OLG Köln, LG Frankfurt/Main schon im Download eines Musikalbums das gewerbliche Ausmaß als gegeben ansehen, urteilen das OLG Oldenburg, OLG Zweibrücken, LG Frankenthal wieder ganz anders. Wobei das LG Frankenthal das gewerbliche Ausmaß erst bei 3000 Mp3 oder 200 Filmen als erreicht ansieht.
Der Begriff des gewerblichen Ausmaßes hat meines Dafürhaltens eine ganz andere Bedeutung, nämlich dem der Gewinnerzielung bzw. Erschließung einer fortlaufenden Einnahmequelle. Der Austausch über Filesharingsysteme, wie er unter Jugendlichen üblich ist, entspricht dem aber keinesfalls, denn hier ist keine Gewinnerzielungsabsicht gegeben.
Die genaue Definition des Begriffs seitens des Gesetzgebers, ist meiner Meinung nach insofern notwendig, da zur Zeit die Rechteinhaber diese unklare Lage dazu nutzen, um die Deckelung der Anwaltsgebühren, die bei einfach gelagerten Fällen vorgesehen war, auszuhebeln. Mit dieser Deckelung hatten Sie sich eigentlich zum Ziel gesetzt, den üppig wuchernden Abmahnwesen, das einzig das Ziel des Gewinnstrebens hat, ein Ende zu setzen. Nach 4 Monaten läßt sich nun feststellen, das sich in dieser Richtung nichts getan hat. Die Deckelung auf 100 € wird von fast allen Rechteinhabern verworfen, da sie der Auffassung sind, das mit dem gewerblichen Ausmaß der Verletzung, diese auch keine einfach gelagerten Fälle mehr darstellen.
Meine Frage geht dahin, warum bei der Überarbeitung des § 101 UrhG ein derart rechtsfreier Raum geschaffen wurde, der den Gerichten nahezu jede Auslegung zuläßt.
Sehr geehrter Herr Fell,
die von Ihnen angeführte Rechtssprechung zum "gewerblichen Ausmaß" bezieht sich auf den Auskunftsanspruch nach § 101 UrhG. Der Auskunftsanspruch des Rechtsinhabers gegen einen Dritten setzt nach § 101 UrhG voraus, dass der Verletzer in gewerblichem Ausmaß Urheberrechte verletzt hat. Der Begriff "in gewerblichem Ausmaß" ist in der Richtlinie 2004/48/EG zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums, die mit dem neuen § 101 UrhG umgesetzt wurde, vorgegeben. Der Begriff ist in § 101 UrhG nicht definiert. Allerdings findet sich in § 101 Abs. 1 Satz 2 UrhG der Hinweis, dass sich das gewerbliche Ausmaß sowohl aus der Anzahl der Rechtsverletzungen als auch aus der Schwere der Rechtsverletzung ergeben kann. In seiner Beschlussempfehlung hat der Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages (BT-Drs. 16/8783, S. 50, http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/16/087/1608783.pdf) auch ausdrücklich darauf hingewiesen, dass ein gewerbliches Ausmaß bereits dann bejaht werden könne, wenn eine besonders umfangreiche Datei, wie ein vollständiger Kinofilm, ein Musikalbum oder ein Hörbuch, vor oder unmittelbar nach ihrer Veröffentlichung in Deutschland widerrechtlich im Internet öffentlich zugänglich gemacht werde. Damit existiert eine Vielzahl von Auslegungshilfen, so dass die Regelung von Gerichten im Sinne des Gesetzgebers ausgelegt werden kann.
Eine genauere Definition des Begriffes "gewerbliches Ausmaß" ist nicht möglich. Ein Gesetz als abstrakt-generelle Regelung muss stets so gefasst werden, dass davon eine Vielzahl von Fallgestaltungen erfasst werden können. Der Gesetzgeber ist darauf angewiesen, dass die Gerichte den Wortlaut einer Norm im Sinne des Gesetzgebers bzw. einer europäischen Richtlinie auslegen und die Norm auf den Einzelfall korrekt anwenden.
Bei der Deckelung der Abmahnkosten, § 97a Abs. 2 UrhG, wird der Begriff des "gewerblichen Ausmaßes" nicht verwendet. Erfasst werden Urheberrechtsverstöße in einfach gelagerten Fällen mit nur einer unerheblichen Rechtsverletzung außerhalb des geschäftlichen Verkehrs. Aktuelle Rechtsprechung hierzu liegt bislang nicht vor. Aber auch hier hat der Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages an oben zitierter Stelle Ausführungen dazu gemacht, welche Fallgestaltungen von der Regelung erfasst seien sollen. Dazu zählen das öffentliche Zugänglichmachen eines Stadtplanausschnitts der eigenen Wohnungsumgebung auf einer privaten Homepage ohne Ermächtigung des Rechtsinhabers, das öffentliche Zugänglichmachen eines Liedtextes auf einer privaten Homepage ohne vom Rechtsinhaber hierzu ermächtigt zu sein und die Verwendung eines Lichtbildes in einem privaten Angebot einer Internetversteigerung ohne vorherigen Rechtserwerb vom Rechtsinhaber.
Mit freundlichen Grüßen
Brigitte Zypries