Frage an Brigitte Zypries von Holger K. bezüglich Familie
Sehr geehrte Frau Zypries,
Sie haben keine einzige meiner Fragen vom 26.11.2008 zur gemeinsamen Sorge nicht verheirateter Eltern beantwortet.
Ich verstehe, dass Fragen danach unangenehm sind, gerade wenn ein kleiner Verband Ihr Ministerium mal eben in den Schatten stellt. Ich frage aber nicht grundlos, sondern weil die Gesetzesanwendung durch die Familiengerichte allein sorgeberechtigten Müttern Tür und Tor für folgenlose, fortdauernde Schädigungen der Kinder öffnet:
Die einzige gesetzliche Reaktion für Väter und Staat auf physische/psychische Vernachlässigung und Gewalt sowie Missbrauch an einem Kind besteht in einem Verfahren nach § 1666 BGB, dessen Hürden so hoch gelegt werden, dass es im Familiengericht meines Ortes zu folgender Aussage kam:
„Bei gemeinsamer Sorge wäre die Entscheidung einfach. So aber gilt § 1666, und dafür muss das Kind erst in den Brunnen gefallen sein.“
Kein Sorgerecht? Pech gehabt! Komm wieder, wenn das Kind (bspw.) die nächste Vergiftung überlebt hat?
Bis zur Erstattung des Gutachtens wird das Verfahren mehr als ein Jahr laufen. Ich bin gerne bereit, Ihnen die Akte zur Verfügung zu stellen.
Ich habe daher noch 3 weitere Fragen an Sie:
1. Billigen Sie ein Rechtsverständnis, das gerichtliche Maßnahmen erst dann erlaubt, wenn ein Kind schon mindestens eine, den enormen Hürden des § 1666 entsprechende, schwerste Schädigung erlitten hat?
2. Halten Sie § 1666 für ein ausreichendes Korrektiv zur Alleinsorge nach § 1626a II?
3. Billigen Sie, dass ein Kind trotz festgestellter Gefährdung ohne weitere Maßnahmen in Obhut der Mutter verbleibt, weil jede Schädigung für sich allein betrachtet noch keinen Eingriff nach § 1666 rechtfertigt?
Frage 3 wurde sinngemäß auch an den Gutachter gestellt. Das Gericht will das Kind also selbst dann bei der Mutter lassen. Koste es, was es wolle: Steuer- und Beitragszahler immer neue Jugendamts- und Gerichtsverfahren, Familienhilfe, Psychotherapien, und irgendwann nur noch Hartz 4…
Mit freundlichen Grüßen
Holger Kehl
Sehr geehrter Herr Kehl,
Ihre Fragen beziehen sich im Wesentlichen auf die Bewertung der Rechtsauslegung eines Gerichtes. Nach unserem Grundgesetz sind die Gerichte unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen. Daher kann ich Ihnen nur folgende allgemein gehaltene Auskunft geben:
Mit der Kindschaftsrechtsreform 1998 haben nicht miteinander verheiratete Eltern die Möglichkeit erhalten, die elterliche Sorge gemeinsam auszuüben. Da nicht verheiratete Eltern aber nicht nur in intakten nichtehelichen Lebensgemeinschaften leben, sondern vielfach auch in flüchtigen oder instabilen Beziehungen, konnte der Gesetzgeber nicht allgemein davon ausgehen, dass die Eltern bereit und in der Lage sind, zum Wohl des Kindes zu kooperieren. Aus diesem Grund verlangt die gesetzliche Regelung, dass die Eltern durch die Abgabe übereinstimmender Sorgeerklärungen ihre Bereitschaft dokumentieren, in Angelegenheiten des Kindes zusammenzuwirken. Der Gesetzgeber hat es also bewusst bei einer starken Rechtsstellung der Mutter belassen.
In diese Rechtstellung kann jedoch eingegriffen werden, wenn die allgemeinen Voraussetzungen für einen Eingriff des Staates in das Elternrecht vorliegen (§ 1666 BGB). Zentrale Voraussetzung ist die Gefährdung des Kindeswohls. Die Rechtsprechung versteht unter Gefährdung "eine gegenwärtige, in einem solchen Maße vorhandene Gefahr, dass sich bei der weiteren Entwicklung eine erhebliche Schädigung mit ziemlicher Sicherheit voraussehen lässt". Die Schädigung des Kindeswohls muss künftig drohen, schon eingetretene Schäden sind nicht erforderlich.
Dass § 1626a Abs. 2 BGB derzeit überprüft wird, habe ich Ihnen bereits ausführlich dargestellt.
Mit freundlichen Grüßen
Brigitte Zypries