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Frage von Klaus N. •

Frage an Brigitte Zypries von Klaus N. bezüglich Recht

Sehr geehrte Frau Zypris,

Da gerade in den letzten Jahren das Thema Jugendkriminalität immer drängender geworden ist und ich mich als juristischer Laie über nicht verhängte Haftstrafen bei bereits mehrfach in Erscheinung getretenen Intensivtätern sehr wundere, stellt sich mir folgende Frage:

Ist es nicht möglich in der Strafjustiz ein Punktesystem ähnlich wie in Flensburg einzuführen oder nach Erstvergehen die Strafen zu staffeln?

Beispiel:

1. Delikt
Antiagressionstraining/Verwarnung bis zu Höchststrafe

2. Delikt
Bewährung bis zu Höchststrafe

3. Delikt
mindestens Haftstrafe bis zu Höchststrafe

Die Richter hätten immer noch genügend Entscheidungsspielraum für ihre Urteile, allerdings könnten sie beim 3. Delikt keine Bewährung oder ein Sozialtraining mehr verhängen.

Meiner Meinung nach hätte das folgenden Effekt:
Es gäbe niemanden mehr der mit 30-40 Straftaten immer noch weiter machen kann. Es gibt klare Regeln, und da den Jugendlichen spätestens nach dem 2. Delikt klar ist, daß sie bei einer Wiederholung um eine Haftstrafe nicht herumkommen, sollte das einen abschreckenden Effekt haben und die Jugendkriminalität würde drastisch zurückgehen.

Ich persönlich denke eine solche Neuorientierung ist mit dem Grundgesetz durchaus vereinbar. Ist so etwas denkbar? Könnte so etwas nicht für die Deutsche Justiz hifreich sein?

Mit freundlichen Grüßen
Klaus Neumann

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Antwort von
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Sehr geehrter Herr Neumann,

auch bei jungen Menschen muss die Strafjustiz im Falle von Straftaten deutlich und angemessen reagieren. Hierfür wäre ein Punktesystem, wie Sie es sich vorstellen, nicht hilfreich. Ein derartiges Vorgehen, ähnlich einigen in Teilen der Vereinigten Staaten mit zweifelhafter Wirksamkeit praktizierten Modellen ("three strikes and you are out"), wäre in der weit überwiegenden Zahl der Fälle von Jugendkriminalität sogar kontraproduktiv.

Wissenschaftliche Befunde belegen, dass es bei der Jugendkriminalität zum größten Teil um Delikte im leichten bis mittleren Bereich handelt (rund zwei Drittel der jugendlichen Tatverdächtigen sind wegen Diebstahls oder Sachbeschädigung registriert), dass das Auftreten von Delinquenz im unteren bis mittleren Bereich in dieser Altersgruppe weit verbreitet ist und dass es hier zum großen Teil bei einzelnen Taten bleibt bzw. entsprechendes delinquentes Verhalten im Prozess des weiteren Heranwachsens entfällt, auch wenn es nicht zu einem strafjustiziellen Eingreifen kommt.

Leider beherrschen vornehmlich die spektakulären Einzelfälle die öffentliche Wahrnehmung von Jugendkriminalität, bei denen junge Menschen entweder besonders schwere Straftaten begangen haben oder - wie von Ihnen angesprochen - extrem häufig strafrechtlich in Erscheinung getreten sind.

Das geltende Jugendstrafrecht bietet eine breite Palette von Sanktionsmöglichkeiten, um im Einzelfall angemessen auf Straftaten junger Menschen - auch in den letztgenannten Fällen - zu reagieren und erzieherisch auf sie einzuwirken. Die Rechtsfolgen reichen von Erziehungsmaßregeln, die die Lebensführung regeln sollen (z. B. Teilnahme an einem sozialen Trainingskurs, Anti-Aggressivitäts-Training oder einem Täter-Opfer-Ausgleich), über ahndende Zuchtmittel (z. B. die Auflagen, den durch die Tat verursachten Schaden nach Kräften wieder gutzumachen oder Arbeitsleistungen zu erbringen, aber auch der bis zu vierwöchige warnende Jugendarrest) bis hin zu einer langjährigen Jugendstrafe. Ein starres Punktesystem wäre nicht in der Lage, die vielschichtigen Besonderheiten des Einzelfalles ausreichend zu würdigen und die individuell erforderliche, aber auch ausreichende Reaktion zu finden. Gerade erst durch eine gezielte, also dem Einfall gerecht werdende Einwirkung, wie sie das geltende Jugendstrafrecht ermöglicht, kann letztlich auch dem Schutz der Allgemeinheit besser gedient werden als durch eine pauschal größere "Härte", wie sie mit einem kategorischen Punktstrafsystem verfolgt würde. Notwendig ist freilich eine konsequente Nutzung des differenzierten gesetzlichen Instrumentariums.

Mit freundlichen Grüßen
Brigitte Zypries