Frage an Brigitte Zypries von Christoph A. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrte Frau Ministerin,
sicherlich haben Sie die Welle der Empörung über die Handlungen ihres Bundestagskollegen Herrn Heilmann bereits mitbekommen.
Frage 1) Wie stehen Sie persönlich als MdB zu der Tatsache, dass jemand das gesamte Wikipedianetzwerk lahmlegen kann (dass die Inhalte noch zugänglich liegt ist ja alleine dem globalen Netzwerk zu verdanken)?
Frage 2) Wie kann es sein, dass ein Richter eine derartige EV stattgibt. Es ist doch offensichtlich, dass wikimedia nicht für die Inhalte verantwortlich ist. Wir meine private Homepage irgendwann einmal gesperrt werden, weil eine Namensverwandte Institution Inhalte hat, die jemanden nicht gefallen? Wird es eine Überprüfung der Rechtmäßigkeit der EV geben?
Frage 3: Halten Sie es für richtig, dass der Staat ein gesamtes Medium wie wikipedia versucht lahmzulegen? Werden Sie daraus Konseuquenzen ziehen, wie werden ihre konkreten Maßnahmen ausschauen?
Werden Sie bspw. mit dem zuständigen Richter das Gespräch suchen - unter Respektierung der Unabhängikeit des Gerichtes - wie es dazu kommen kann, auch dass es keine Anhörung gab, und eigentlich sehendes Auges das GG (Artikel 5) mit Füßen getreten wird??
Frage 4: Wie kann ich mich dagegen schützen, dass ich nicht auf mein Grundrecht Artikel 5 zugreifen kann, in dem mir garantiert wird, dass ich mich aus unabhängigen Quellen informieren kann. Wie kann ich mich als einfacher Bürger bitte dagegen wehren?
Ich würde mich um eine Stellungnahme sehr freuen. Ich halte die aktuellen Vorkommnisse für eine der gefährlichsten Entwicklungen für die Demokratie in Deutschland der vergangenen Jahre. Wenn man dazu die Entwicklungen in Hessen ansieht, wird einem wirklich Angst und Bange. Ein Zeichen des Kabinettes würde mich als Bürger und Wähler sehr freuen.
Um es noch einmal deutlich zu sagen, ich habe wirklich Angst in diesem Land, zwischen dem, was ich im GG geglaubt gelesen zu haben, und dem was nun wirklich ist, scheinen Welten zu sein
Mit freundlichen Grüßen,
Christoph Ahr
Sehr geehrter Herr Ahr,
zunächst möchte ich Sie um Verständnis dafür bitten, dass ich mich zu konkreten Entscheidungen aufgrund der Unabhängigkeit der Gerichte als Bundesministerin der Justiz nicht äußere. Aus diesem Grund werde ich mich auch nicht mit dem Richter, der diese Entscheidung getroffen hat, treffen und mit ihm über den Fall diskutieren. Gerne will ich jedoch versuchen, zu Ihren Fragen ohne eine Bewertung des konkreten Falls Stellung zu nehmen, soweit das möglich ist.
Zunächst bin ich mir bewusst, dass es ein großes Problem ist, wenn der Zugriff auf Inhalte im Internet gesperrt wird. Die von Ihnen angesprochene im Grundgesetz verankerte Informationsfreiheit ist ein hohes Gut, das nicht leichtfertig preisgegeben werden darf. Allerdings ist es nicht so, dass die Grundrechte völlig schrankenlos gewährt werden. Dies ist schon deshalb nicht möglich, weil bestimmte Grundrechte kollidieren können. Beispielsweise kann durch Informationen, die im Internet eingestellt werden, massiv in das Persönlichkeitsrecht eines Menschen eingegriffen werden. Dann stehen das Recht auf Informationsfreiheit der Allgemeinheit und das Persönlichkeitsrecht des Einzelnen in einem Konflikt. Es ist dann denkbar, dass im Einzelfall das Persönlichkeitsrecht vorgeht. Dieser Hintergrund ist wichtig für die Beantwortung Ihrer vierten Frage. Sie können sich immer auf dem Gerichtsweg dagegen wehren, dass in Ihr Recht auf Informationsfreiheit eingegriffen wird.
Insofern wird auch niemals Ihre private Internetseite gesperrt, weil jemandem die Inhalte "nicht gefallen". Sollten Sie aber beispielsweise jemanden beleidigen oder Unwahrheiten verbreiten, ist das schon denkbar. Das ist eine Frage des Einzelfalls.
Weiterhin ergibt sich daraus, dass der Staat niemals versucht ein "gesamtes Medium lahmzulegen". Sollte es allerdings zu einem Rechtsstreit über die Zulässigkeit eines bestimmten Inhalts kommen und sich in diesem herausstellen, dass der Inhalt tatsächlich unzulässig ist (was nur in Ausnahmefällen der Fall sein wird), dann muss es dem Staat auch möglich sein, diese Entscheidung durchzusetzen.
Es muss deshalb auch das Instrument der einstweiligen Verfügung geben, bei dem ohne vollständige gerichtliche Prüfung eine vorläufige Entscheidung getroffen wird. Wenn nämlich eine vollständige gerichtliche Prüfung lange dauert und es aber gleichzeitig wahrscheinlich ist, dass zum Beispiel eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts vorliegt, dann kann es im Einzelfall notwendig sein, die mögliche Verletzung solange zu unterbinden, bis die endgültige Entscheidung getroffen werden kann.
Mit freundlichen Grüßen
Brigitte Zypries