Frage an Brigitte Zypries von Alexander von L. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Geehrte Frau Zypries,
auch ich gehöre zu den steuerzahlenden Bürgern, die dem Staat ein halbes Jahr lang die Steuern vor die Füße legen und dann erst an den eigenen Geldbeutel denken können. Zwangsweise. Alles wird automatisch ans Finanzamt abgeliefert. Ich weiß, daß ich Steuern zahlen muß - für sinnvolle Dinge, aber auch für Mumpitz. Das nehme ich hin. Zähneknirschend. Doch was jüngst in diesem Land passiert, überschreitet die Grenze des Erträglichen. Wenn ein Empfänger von Transferleistungen im Verdacht steht, einige Euro unberechtigt zu kassieren, kommen die Schnüffelbrigaden der Arbeitsagentur mächtig in Schwung. Wenn Banken nach riskanten Spielchen, unter "Aufsicht" vieler deutschen Politiker, die im Aufsichtsrat der betroffenen Banken sitzen, milliardenschwer abstürzen, sind ganz schnell, völlig unbürokratisch, Steuergelder in riesigen Mengen vorhanden.
Wir haben, angeblich (?!) kein Geld für die Bekämpfung der Armut, für eine bessere Bildung, oder eine bessere Infrastruktur. Für die Rettung von Spekulanten werden jedoch, ganz schnell und völling unbürokratisch, zig Milliarden Euro zur Verfügung gestellt.
Wann e n d l i c h fängt die erste Staatsanwaltschaft von Amts wegen zu ermitteln an, Frau Zypries? Vielleicht in Richtung Veruntreuung von Steuergeldern oder Diebstahl von Volkseigentum oder - angesichts der Netzwerke - auch in Sachen organisierte Kriminalität?
Wo ist da Ihrer Ansicht nach der Gleichheitssatz?
MIt verstimmten und sehr enttäuschten Grüßen,
Alexander von Linden
Sehr geehrter Herr von Linden,
Ihren Unmut über die auf den ersten Blick ungerechte Unterstützung privater Banken durch den Staat kann ich verstehen. Bei näherer Betrachtung ergibt sich jedoch, dass die Rettungsmaßnahmen unumgänglich sind und letztlich auch der ganzen Gesellschaft zu Gute kommen.
Ohne eine solche Maßnahme zur Rettung des Finanzmarktes hätte ein Zusammenbruch des Bankensystems auch die Realwirtschaft mit in den Abgrund gerissen. Die Folgen wären für jeden einzelnen Bürger dramatisch gewesen: Abbau von Arbeitsplätzen, Verlust von Ausbildungsplätzen, Verlust von Sparguthaben und privater Altersvorsorge, wirtschaftlicher Stillstand bzw. Rezession. Auch die Auswirkungen auf die Stabilität und Werthaltigkeit unserer Währung wären unkalkulierbar gewesen. Dies galt es zu verhindern.
Der Eindruck, die Bundesregierung stelle den Banken die 500 Mrd. Euro "frei Haus" zur Verfügung, ist falsch. Richtig ist vielmehr, dass ein Fonds gegründet wird. Dadurch wird die Möglichkeit geschaffen, den Banken im Notfall "unter die Arme" zu greifen. Um es erst gar nicht soweit kommen zu lassen, wird dieser Fonds Garantien für Kredite abgeben, die sich die Banken gegenseitig zur Verfügung stellen. Das Volumen dieser Garantien, für deren Inanspruchnahme die Banken übrigens eine Gebühr entrichten müssen, beläuft sich auf maximal 400 Mrd. Euro. Mit weiteren maximal 80 Mrd. Euro kann der Fonds bei Bedarf notleidenden Banken direkt helfen. Damit kann er insbesondere frisches Eigenkapital zur Verfügung stellen. Im Gegenzug dazu erhält er Anteile an diesen Banken, die er langfristig wieder veräußern kann. Die zur Verfügung gestellten Garantien ermöglichen den in den Banken Verantwortlichen kein einfaches "weiter so". Banken, die die staatliche Unterstützung in Anspruch nehmen, werden sich mit erheblichen Auflagen bzw. Vorbedingungen konfrontiert sehen. Dazu zählen u. a.: Einschnitte bzw. Restriktionen bei den Managervergütungen, Überprüfung der geschäftspolitischen Ausrichtung etc.. Die Summe für die Garantien und die direkten Hilfen sind so gewählt, dass sie unter heutigen Annahmen ausreichend sein sollten, um die gewünschte Stabilisierung zu gewährleisten. Aber natürlich kann niemand sicher wissen, wie sich die Krise weiter entwickelt. Genau davon hängt aber ab, wie viel diese Rettungsaktion die öffentlichen Hände am Ende tatsächlich kosten wird. Es ist sogar denkbar, dass im Laufe der Zeit die Einnahmen des Fonds (aus den Gebühren für die Garantien sowie den Erlösen für die zuvor erworbenen Beteiligungen) die Ausgaben ausgleichen und somit gar kein Defizit entsteht. Genau das war bei einer vergleichbar angelegten Bankenkrise in Schweden vor einigen Jahren der Fall.
Wie Sie sicherlich erkennen können, ist diese Maßnahme sehr sorgfältig erarbeitet worden und war so dringend notwendig, dass sich alle im Bundestag vertretenen Parteien - inklusive der Oppositionsparteien von den Grünen bis zur Linkspartei - prinzipiell für ein Eingreifen des Staates aussprachen.
Fazit: Es soll verhindert werden, dass die Finanzmarktkrise zu einem Zusammenbruch des gesamten Bankensystems führt. Denn ein solcher Zusammenbruch würde letztendlich mit seinen Auswirkungen auf die Realwirtschaft alle Bürgerinnen und Bürger hart treffen.
Mit freundlichen Grüßen
Brigitte Zypries