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Frage von Dietmar B. •

Frage an Brigitte Zypries von Dietmar B. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrte Frau Ministerin,

eine tragende Säule der Demokratie, nicht nur in unserem Lande, ist die Gewaltenteilung. Eine weitere die Unschuldsvermutung jedes Beschuldigten bis ein ordentliches Gericht dessen Schuld feststellt.

Diese beiden Grundbedingungen für eine demokratische Gesellschaft sind. m.E. für Hilfsbedürftige nach dem SGB II ausser Kraft gesetzt. Bei einem von der Arge bzw. der Optionskommune vermuteten Fehlverhalten erfolgen durch dieselbe Behörde Sanktionen. Diese sind zwar vor einem Gericht überprüfbar allerdings bleiben sie, entgegen der Unschuldsvermutung,bis zu einer Urteilsverkündung die sich über Jahre ziehen kann, in Kraft. Dieser, nach meiner Auffassung rechtswidrige Umstand wird seitens der Argen ausgenutzt und führt sogar soweit, dass, wie jetzt in einer Doku-Soap auf SAT 1, eine öffentliche Vorverurteilung während eines schwebenden Verfahrens statt gefunden hat.

Ich denke, es gehört mit zu Ihren Aufgaben solche Rechtsstaats gefährtdenden Zustände zu unterbinden. Auch die Tätigkeit der Mitarbeiter einer Behörde dürfen nicht dazu führen, dass Menschen ohne richterliche Entscheidung bestraft werden. Selbst die Polizei kann ohne richterlichen Beschluss eine Verdächtige Person nur befristet festhalten, die Argen streichen ohne richterlichen Beschluss finanzielle Mittel auf die der Betroffene einen Rechtsanspruch hat.

Glauben Sie, dass diese Praxis einer Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht standhalten würde ?

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Brach,

ja, ich bin mir sogar sicher, dass die Tätigkeit der ARGEn keinen verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet. Es ist nämlich gerade eine Ausprägung des Prinzips der Gewaltenteilung, dass der Vollzug von Gesetzen den zuständigen Verwaltungsbehörden obliegt. Das heißt, die ARGEn ermitteln und prüfen, ob die Voraussetzungen nach dem Sozialgesetzbuch II für die Bewilligung von Sozialleistungen vorliegen. Auf der Grundlage ihrer Ermittlungen trifft die Behörde dann eine Verwaltungsentscheidung, in der sie zum Beispiel eine Leistung bewilligt oder aber Sanktionen verhängt, wenn etwa eine Leistungserschleichung vorliegt oder der Hilfebedürftige seine Mitwirkungspflicht nicht erfüllt. Natürlich können diese Verwaltungsentscheidungen überprüft werden. Auch hier kommt der Gewaltenteilungsgrundsatz zum Tragen: Die Überprüfung der Verwaltungsentscheidung geschieht durch die von der Verwaltung unabhängigen Sozialgerichte.

Zu unterscheiden sind daneben die im Strafverfahren geltende Unschuldvermutung und die Vermutung im Bereich des Zivil-, Verwaltungs- oder Sozialrechts. Denn anders als im Strafverfahren gibt es im Zivil-, Verwaltungs- oder Sozialverfahren keine Unschuldsvermutung, sondern dort kommt der Vermutung eine Beweisfunktion zu. So kann zum Beispiel eine tatsächliche Vermutung einen auf Erfahrungen gestützten Beweis ermöglichen und eine gesetzliche Vermutung die Beweislast verschieben oder ein Beweiserfordernis ganz beseitigen.

Schließlich werden im sozialgerichtlichen Verfahren auch keine Strafen im kriminalstrafrechtlichen Sinn, sondern lediglich Sanktionen - wie etwa eine Leistungskürzung - verhängt. Das belastet den Betroffenen zwar, doch ist mit einer solchen Sanktion kein „sozialethisches Unwerturteil“ verbunden, wie dies bei einer Kriminalstrafe der Fall ist.

Eine Kriminalstrafe muss der Betroffene erst dann befürchten, wenn er die Behörden vorsätzlich betrügt und ihm dies in einem strafrechtlichen Verfahren vor einem Strafrichter nachgewiesen werden kann – und in diesem Verfahren gilt die Unschuldsvermutung.

Mit freundlichen Grüßen
Brigitte Zypries