Frage an Brigitte Zypries von Fritz E. bezüglich Recht
Sehr geehrte Frau Zypries,
Es gibt hier ja einige Fragen zum Grundgesetz. Ob es überhaupt eine Verfassung sei und so weiter. Auch im Internet finden sich viele Diskussionen in diesem Bereich.
Einen sozusagen "wahren" Kern haben diese Diskussionen ja: Deutschland ist eines der wenigen demokratischen Länder deren Verfassung nicht per Referendum vom Volk angenommen wurde. Soweit ich weiß, war dies aber ja von den Verfassungsvätern angedacht - sobald die Wiedervereinigung vollzogen ist. Es gab ja auch eine Komission nach der Wiedervereinigung die in diese Richtung diskutierte. Korrigieren Sie mich bitte, wenn ich da falsch liege. Gab es Vorschläge aus dieser Arbeitsgruppe die umgesetzt wurden und war nicht angedacht eine dann neue Verfassung auszuarbeiten und vom Volk abstimmen zu lassen? Ist zur Zeit geplant dies einmal wieder in Angriff zu nehmen?
Das würde mich sehr interessieren und freuen. Ich glaube viele Zweifler und wäre der Wind aus den Segeln genommen und eine gemeinsame "Identität" zwischen Ost und West würde sich noch schneller bilden und festigen, wenn wir uns eine gemeinsame Verfassung geben würden. Was denken Sie dazu?Wäre das nicht auch wichtig um die Bürger wieder stärker in die Politik einzubeziehen?
Ich freue mich auf Ihre Antwort.
Mit freundlichen Grüßen
Fritz Ebert
Sehr geehrter Herr Ebert,
Die Sache ist ein bisschen kompliziert, ich muss deshalb etwas weiter ausholen:
Nachdem der Parlamentarische Rat das Grundgesetz am 8. Mai 1949 beschlossen hatte, musste es durch die Volksvertretungen in zwei Dritteln der Deutschen Länder angenommen werden. Mit Ausnahme des Bayerischen Landtages - der sich einer Mehrheitsentscheidung aber nicht verweigern wollte - haben alle Länderparlamente in der Folgezeit dem Grundgesetz zugestimmt, ehe es am 23. Mai 1949 in Kraft trat. Auf eine Volksabstimmung über das Grundgesetz wurde damals aus unterschiedlichen Gründen verzichtet.
Im Rahmen der Wiedervereinigung wurde diese Frage neu aufgeworfen. Artikel 5 des Einigungsvertrags empfahl, sich mit der Frage einer Anwendung von Art. 146 des Grundgesetzes (GG) und in diesem Zusammenhang mit einer Volksabstimmung über das Grundgesetz zu beschäftigen. Darüber hat die vom Deutschen Bundestag einberufene Gemeinsame Verfassungskommission zwar beraten, aber keine Empfehlung zur Durchführung einer Volksabstimmung abgegeben. Es setzte sich in der Kommission vielmehr die Auffassung durch, die Frage einer Anwendung von Art. 146 GG zunächst nicht weiter zu verfolgen. Dort, in Art. 146 GG, ist das Außerkrafttreten des Grundgesetzes geregelt. Art. 146 GG bestimmt, dass das Grundgesetz an dem Tag seine Gültigkeit verliert, an dem eine vom Deutschen Volk in freier Entscheidung beschlossene - andere - Verfassung in Kraft tritt. Das Bundesverfassungsgericht leitet aus der Möglichkeit der Volksabstimmung kein entsprechendes Gebot zum Erlass einer neuen Verfassung ab. Eine Abstimmung nur über die Frage, ob das Grundgesetz gültig bleiben soll, ist nach Wortlaut, Sinn und Zweck von Art. 146 GG nicht möglich.
Damit ist ein nachträgliches Referendum über das bestehende Grundgesetz schon wegen verfassungsrechtlicher Bedenken abzulehnen. Für eine grundlegende Überarbeitung des Grundgesetzes und damit für ein verfahren nach Art.146 sehe ich keinen Anlass. Wir haben eine gemeinsame Verfassung und brauchen keine neue. Das Grundgesetz hat sich seit seinem Erlass sehr bewährt und ist im Bewusstsein der Bevölkerung in den neuen und in den alten Bundesländern längst über den Status eines Provisoriums hinausgewachsen.
Mit freundlichen Grüßen
Brigitte Zypries