Frage an Brigitte Zypries von Rico H. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrte Frau Zypries,
"In allen öffentlichen Grund-, Mittel-, höheren und Hochschulen ist der Unterricht unentgeltlich"
heißt es in Artikel 59 der hessischen Verfassung.
SPD, Grüne und Linke haben aus diesem Grund gegen die Einführung von Studiengebühren in Hessen geklagt und verloren.
Verfassungsrichterin Karin Wolski erklärte in der Urteilsbegründung, Artikel 59 beinhalte keine Garantie eines gebührenfreien Studiums.
Nun frage ich Sie als Justitzministerin, was ist Deutschland als RECHTSSTAAT noch wert, wenn eindeutig formulierte Gesetze durch Verfassungsorgane in ihr Gegenteil verkehrt werden können?????
Und wenn dieses Urteil rechtmäßig sein sollte, wie hätten dann die Urheber der Verfassung, den entsprechenden Paragraphen formulieren müssen, damit er EINDEUTIG ist???
Mit freundlichen Grüßen
Rico Haaske
Sehr geehrter Herr Haaske,
an dem Urteil des hessischen Staatsgerichtshof, das sie zitieren, gibt es viel Kritik. Das Urteil selbst ist nur mit einer denkbar knappen Mehrheit der Richterinnen und Richter des Staatsgerichtshofs zustande gekommen. Ansatzpunkt für die Argumentation derjenigen, die Studiengebühren für zulässig erachten, ist Art. 59 Absatz 1 Satz 4 der hessischen Landesverfassung, in dem es - anschließend an den von Ihnen zitierten Art. 59 Absatz 1 Satz 1 - heißt "Es [das Gesetz] kann anordnen, daß ein angemessenes Schulgeld zu zahlen ist, wenn die wirtschaftliche Lage des Schülers, seiner Eltern oder der sonst Unterhaltspflichtigen es gestattet." Auch trotz dieses Satzes kann man natürlich gut argumentieren, dass Studiengebühren unzulässig sind, denn das hessische Gebührengesetz knüpfte ja nicht an die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit an, sondern sah bei nicht ausreichender wirtschaftlicher Leistungsfähgikeit nur die Möglichkeit der Aufnahme eines Kredits vor. Deshalb ist das Urteil ja auch von Kritikern als "politisches Urteil" bezeichnet worden. Sobald aber eine Verfassung oder auch ein Gesetz interpretationsbedürftige Bestandteile, wie den o.g. Satz 4 enthält, ist aber eine kontroverse Entscheidung möglich und das lässt sich dann auch nicht verhindern.
Ich freue mich allerdings über den politischen Erfolg der hessischen SPD. Sie hat seit vielen Jahren aus der Opposition heraus in Hessen die Studiengebührenpläne der CDU bekämpft. Nach langem Engagement und einem harten Wahlkampf, der sich auch maßgeblich mit dem Thema Bildung beschäftigte, ist es ihr schließlich gelungen - zusammen mit Grünen und Linken - die Studiengebühren auf politischem Wege abzuschaffen. Nun gilt es dafür zu kämpfen, dass Studiengebühren auch abgeschafft bleiben.
Mit freundlichen Grüßen
Brigitte Zypries