Frage an Brigitte Zypries von Michael B. bezüglich Familie
Sehr geehrte Frau Zypries,
Ihre Ausführungen zur Frage von Jo Mina zu Fiktiveinkommen(FE), vom 07.05.08, zeigen, dass sie nicht richtig informiert sind.
In den Verf. 554 F 10908/06 beim AG München und 21 UF 22/05 beim OLG Dresden wurden Väter, die weniger als 1000 EUR verdienten, FE zugerechnet. Ihnen wurde vorgehalten, dass sie sich um einen 400 EUR-Job hätten bemühen sollen.
Aufgrund fehlender Mindestlohnregelungen müssen also diese Väter zusätzlich zu ihrem schlecht bezahlten Vollzeitjob nochmals einen Halbtagsjob annehmen (schlechten Bezahlung = lange Arbeitszeiten).
Diese Väter kommen also, aufgrund der FE-Rechtsprechung zu einer Arbeitszeit/Woche, die locker 90h überschreiten kann.
Man werfe einen Blick ins Arbeitszeitgesetz, §3, der besagt, dass niemand über 8h/Tag, also 48h/Woche arbeiten darf.
Meinen Sie nicht, dass Familienrichter einer Schulung unterzogen werden sollten, um ihnen die deutschen (hier sind auch EU-Regelungen betroffen) Gesetze beizubringen, die gegen ein FE sprechen?
Können Sie bitte den Vätern erklären wie sie ihren Beruf mit der Familie in Einklang bringen sollen, wenn sie zu einem Frondienst verurteilt werden, der ihnen jeglichen Kontakt zum eigenen Kind zunichte macht, da er das Fiktiv- in ein Realeink. durch eine 90-120h/Woche umwandeln muss?
Könnten Sie uns bitte erklären, wie man solche Urteile, die offensichtlich gegen geltendes Recht verstossen, aufheben kann? Indem man weitere Anwälte beauftragt Nichtigkeits- oder Restitutionsklagen beim gleichen Richter einzureichen, der ein Fehlurteil fällte? Das BVerfG scheidet hier aus, da es kaum noch Verfassungsbeschw. bearbeitet (98% werden nicht angenommen).
Wissen die Richter, die bei der Erstellung der Düs. Tabelle dabei waren, dass die von ihnen ausgedachte untere Lohngruppe von 1500 EUR masslos übertrieben ist? Oder ging es mal wieder nur darum, den Anwälten durch FE hohe Streitwerte, also Gebühren, zu garantieren?
Ist FE nicht eine Erklärung für die explodierenden PKH-Kosten?
Hochachtungsvoll
Sehr geehrter Herr Baleanu,
ich bitte Sie um Verständnis, dass ich mich als Bundesjustizministerin nicht zu einzelnen Prozessen bzw. Urteilen äußere.
Ihre grundsätzliche Kritik an der Arbeit der Familiengerichte teile ich nicht. Vielmehr bin ich davon überzeugt, dass sich alle Beteiligten sehr genau mit den geltenden Regelungen auseinandersetzen und die Richter diese auch zur Grundlage ihrer Rechtsprechung machen. Unabhängig davon können die Entscheidungen der Gerichte mit den entsprechend zulässigen Rechtmitteln einer erneuten Prüfung durch das jeweils höherrangige Gericht unterzogen werden.
Ergänzend zu meiner Antwort an Herrn Mina von 7. Mai 2008 möchte noch auf Folgendes hinweisen: Der gesteigert haftende Unterhaltsverpflichtete hat sich intensiv, d.h. unter Anspannung aller Kräfte und Ausnutzung aller vorhandenen Möglichkeiten zu bemühen, einen hinreichend entlohnten Arbeitsplatzes zu erlangen, um so ein Einkommen zu erzielen, das die Zahlung der Regelbeträge sicherstellt, diese Bemühungen hat er gegebenenfalls nachzuweisen. Verfügt er über keine Einkünfte oder reicht vorhandenes Einkommen zur Erfüllung der Unterhaltspflichten nicht aus, trifft ihn unterhaltsrechtlich die Obliegenheit, die ihm zumutbaren Einkünfte zu erzielen. Insbesondere hat er seine Arbeitskraft so gut wie möglich einzusetzen und eine einträgliche Erwerbstätigkeit auszuüben. Jemand, der Vollzeit arbeitet, erfüllt regelmäßig diese Obliegenheit. Es mag Einzelfälle geben, in denen die Gerichte anders entschieden haben, namentlich wenn Unterhaltspflichtige ihre Bemühungen nach einem besser bezahlten Job nicht nachgewiesen haben. Die Regel ist dies jedoch nicht.
Die Düsseldorfer Tabelle wird vom Oberlandesgericht Düsseldorf in Abstimmung anderen Oberlandesgerichten und dem Deutschen Familiengerichtstag erstellt. Sie können sich sicher sein, dass sich die beteiligten Experten dabei nicht von Streitwertüberlegungen haben motivieren lassen, sondern ausgehend von den Erfahrungen der Praxis standardisierte Kriterien für die Berechnung eines angemessen Kindesunterhalts erarbeitet haben.
Mit freundlichen Grüßen,
Brigitte Zypries