Frage an Brigitte Zypries von Michael H. bezüglich Recht
Sehr geehrte Frau Ministerin Zypries,
seit langem beobachte ich bei unseren Volksvertretern mit Besorgnis eine fragwürdige Unkenntnis des Grundgesetzes. Es kann einen Demokraten doch nicht unberührt lassen, dass am laufenden Band Gesetze beschlossen werden, die später vom Bundesverfassungsgericht wg. Grundgesetzwidrigkeit kassiert werden müssen.
Der jüngste Sündenfall: Die Vorratsdatenspeicherung und die weit über die EU-Vorgaben hinausgehende Regelung in § 113 a und b TKG. Es war und ist doch ganz offensichtlich, dass eine solche Speicher- und Weitergabepflicht ohne konkreten Verdacht sehr weit in die Freiheitsrechte von Bürgern eingreift. Ob man einer solchen Speicherung prinzipiell ablehnend gegegnüberzutreten hat (Stichwort: Präventivstaat / pauschale Verdächtigung von Bürgern), vermag ich nicht zu beantworten. Dass aber ein so weitreichender Eingriff, wie er in der Abfrage solcher Daten durch Behörden besteht, nach Anlass, Art und Umfang einer strikt am Verhältnismäßigkeitsprinzip orientieren Regelung bedurft hätte, war ohne weiteres erkennbar. Dennoch haben CDU und SPD nahezu geschlossen zugestimmt...
Aber das ist nur ein Beispiel von vielen. Andere sind das Flugsicherheitsgesetz, die Rasterfahndung (1 BvR 518/02), die anlasslose / flächendeckende automatisierte Überprüfung von KFZ-Nummernschildern oder die Online-Durchsuchung, wo das höchste Gericht darauf aufmerksam machen musste, dass es in Deutschland nach wie vor ein allgemeines Persönlichkeitsrecht (nunmehr sogar in Ausprägung eines Grundrechts auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme) gibt...
Wie lange wollen Sie, Frau Zypries, als Justizministerin eine Kultur pflegen, nach welcher die Politik das Grundgesetz nicht mehr ernst nimmt und nur noch durch Karlsruhe wieder eingefangen wird? Wann endlich beginnen Sie mit einer strikt am Grundgesetz orientieren Justizpolitik, was letztlich ein weitaus vorsichtigeres (= grundrechtssensibleres) Agieren voraussetzt?
Sehr geehrter Herr Hellmer,
gestatten Sie mir zunächst den Hinweis, dass es sich bei den von Ihnen angesprochenen Gesetzen über die automatisierte Erfassung von Kraftfahrzeugkennzeichen, über die Online-Durchsuchung und über die Rasterfahndung nicht um Gesetze des Bundes handelt, sodass ich diese nicht weiter kommentieren kann.
Zur Vorratsdatenspeicherung ist zu sagen, dass das Bundesverfassungsgericht diese mitnichten "kassiert" hat. Das Gericht hat vielmehr lediglich die Anforderungen an die Weitergabe der Daten verschärft, die Speicherung an sich aber nicht beanstandet.
Es ist richtig, dass in letzter Zeit einige sehr öffentlichkeitswirksame Gesetze zum Thema "Innere Sicherheit" vom Bundesverfassungsgericht in Teilen beanstandet wurden.
Bedenken Sie aber bitte auch, dass mit einer zunehmenden Technisierung der Welt auch die Anforderungen an Ermittlungsmethoden steigen. Neue Technologien machen neue Ermittlungsmethoden erforderlich. Hier muss der Staat Schritt halten, um nicht bei der Bekämpfung der Kriminalität und des Terrorismus ins Hintertreffen zu geraten. Das Internet spielt hierbei eine große Rolle. Gerade zum Themenkomplex "Internet" existiert ein breiter Meinungskanon zu der Frage, welche Ermittlungsmethoden in diesem Bereich zulässig sind und welche nicht.
Ich begrüße deshalb die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, da das Gericht hier in vielen umstrittenen Bereichen Rechtsklarheit geschaffen und der Politik klare Richtlinien an die Hand gegeben hat, was zulässig ist und was nicht. Aufbauend auf diesen Richtlinien ist es der Politik nun möglich, eine moderne, zukunftsgerechte Sicherheitspolitik zu gestalten und dabei stets die grundgesetzlichen Grenzen im Blick zu haben.
Mit freundlichen Grüßen
Brigitte Zypries