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Frage von christa j. •

Frage an Brigitte Zypries von christa j. bezüglich Recht

Sehr geehrte Frau Zypries,

ist es zulässig, dass bei einem Strafverfahren (AG) der Richter keinen einzigen Zeugen des Beschuldigten läd? Demgegenüber war auf der Gegenpartei ein einziger Zeuge geladen. Diesen Zeugen wollte der Beschuldigte befragen. Es wurde ihm von der Richterin verboten. Der Staatsanwalt griff nicht ein.
Das Berufungsverfahren scheiterte an den Kosten (Anwaltszwang).
Mit Interesse habe ich auch Ihre Anwort an Hr. Parth gelesen.
Ich denke bei einer Anzeige an die Staatsanwaltschaft wird oft abgelehnt mit dem Kommentar: "Kein öffentliches Interesse". Oder: "Nur der Geschädigte darf eine Anzeige bei der Staatsanwaltschaft tätigen."
Erhebt jemand Einspruch, muss man einen Anwalt einschalten.
Wie kann z. B. ein Geschädigter der an Demenz leidet eine Anzeige tätigen, wenn der eigene Betreuer ihm übel mitspielt?
Ich denke auch, wir haben genug Gesetze, doch leider werden sie nicht von allen angewandt.

Mit freundlichen Grüssen,
Christa Janke

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Antwort von
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Sehr geehrte Frau Janke,

auch der Angeklagte hat im Prozess das Recht, die Vernehmung bestimmter Zeugen zu verlangen und geladenen Zeugen Fragen zu stellen. Wird ihm dieses Recht versagt, begeht der Richter einen Verstoß gegen das Verfahrensrecht, der mit dem Rechtsmittel der Revision angegriffen werden kann.

Es ist im Übrigen nicht richtig, dass in Strafsachen für Berufungsverfahren vor dem Landgericht grundsätzlich ein Anwaltszwang besteht. War im amtsgerichtlichen Verfahren kein Verteidiger notwendig, ist dies auch in der Berufung vor dem Landgericht nicht der Fall. Lediglich in den Fällen, in denen eine Verteidigung durch einen Rechtsanwalt bereits im amtsgerichtlichen Verfahren notwendig war (§ 140 StPO), ist auch im Berufungsverfahren vor dem Landgericht ein Pflichtverteidiger zu bestellen. Dieser wird jedoch aus der Staatskasse bezahlt und die Kosten dem Angeklagten nur im Falle einer Verurteilung nach dem Verfahren in Rechnung gestellt. Eine rechtlich notwendige Verteidigung scheitert also nie an den Kosten!

Sie kritisieren weiter die Staatsanwaltschaft, weil sie Ermittlungen in bestimmten Verfahren ablehnt.

Lassen Sie mich dazu etwas weiter ausholen: Die deutsche Rechtsordnung unterscheidet zwischen sog. Offizialdelikten und sog. Antragsdelikten. Bei Offizialdelikten müssen die Ermittlungsbehörden von Amts wegen tätig werden, wenn sie von einer Straftat Kenntnis erlangen. Antragsdelikte werden, wie der Namen schon sagt, nur auf Antrag verfolgt. Und zwar nur auf Antrag des Berechtigten, da der deutschen Rechtsordnung das Prinzip der Popularklage fremd ist. Das bedeutet, dass nur derjenige, der Inhaber eines Anspruchs ist, diesen geltend machen kann.

Die Antragsdelikte gliedern sich wiederum auf in absolute und relative Antragsdelikte. Bei absoluten Antragsdelikten (wie z.B. der Beleidigung) ist stets ein Strafantrag desjenigen notwendig, zu dessen Nachteil die Straftat begangen wurde. Liegt ein solcher Antrag nicht vor, ist das Verfahren zwingend einzustellen.

Bei relativen Antragsdelikten (z.B. der Körperverletzung) ist grundsätzlich auch ein Strafantrag des Geschädigten notwendig. Jedoch kann hier ein Verfahren auch ohne Strafantrag weiter betrieben werden, wenn die Staatsanwaltschaft ein besonderes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung bejaht. Wann ein besonderes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung zu bejahen ist, liegt im Ermessen der Staatsanwaltschaft. In den Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren (RiStBV) finden sich für die entsprechenden Vorschriften Anhaltspunkte, bei deren Vorliegen ein öffentliches Interesse gegeben ist. Bei der Körperverletzung beispielsweise kann ein besonderes öffentliches Interesse an Strafverfolgung dann vorliegen, wenn durch die Tat erhebliche Verletzungen entstanden sind, während bei einer Ohrfeige die Tatfolgen regelmäßig gering und ein öffentliches Interesse demzufolge häufig zu verneinen sein dürfte. Die RiStBV können Sie hier abrufen: http://www.bmj.bund.de/files/-/2720/RiStBV%20Stand%202008-01-01.pdf

Grundsätzlich läuft ein Ermittlungsverfahren folgendermaßen ab: Die Polizei erlangt Kenntnis von einer (möglichen) Straftat. Daraufhin führt sie Ermittlungen durch. Erhärten diese Ermittlungen den Verdacht einer Straftat, wird die Sache nach Abschluss der Ermittlungen an die Staatsanwaltschaft abgegeben. Diese prüft dann, ob Anklage zu erheben ist. Dabei prüft sie auch, ob Strafanträge notwendig sind und ob diese vorliegen. Liegt kein Strafantrag vor und handelt es sich um ein relatives Antragsdelikt (und nicht um ein absolutes Antragsdelikt), entscheidet die Staatsanwaltschaft, ob sie das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung bejaht oder nicht.

Zu Ihrer letzten Frage:

Sofern ein an Demenz leidender Geschädigter nicht selber gegen seinen Betreuer Anzeige erstatten kann, dürfen dies selbstverständlich auch andere Personen tun. Die Polizei nimmt dann Ermittlungen auf. Stellt sich dann heraus, dass der Verdacht eines Antragsdeliktes besteht, wird die Polizei versuchen, von dem Geschädigten einen entsprechenden Strafantrag einzuholen (sofern dieser einen solchen trotz seiner Erkrankung noch wirksam stellen kann). Sollte ein Strafantrag nicht einzuholen sein, kann sich die Staatsanwaltschaft nach Abschluss der polizeilichen Ermittlungen immer noch dafür entscheiden, das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung zu bejahen und damit das Strafantragserfordernis überwinden. Gerade der von Ihnen geschilderte Fall, dass einem unter Betreuung stehenden Demenzkranken durch seinen Betreuer „übel mitgespielt wird“, dürfte das Paradebeispiel für das Vorliegen eines besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung sein (vgl. z.B. Nr. 234 RiStBV).

Mit freundlichen Grüßen
Brigitte Zypries