Frage an Brigitte Zypries von Albert E. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrte Frau Justizministerin,
aus verschiedenen Medienberichten geht nachweislich hervor, dass ein Herr Frank Lüngen als "Chefermittler" der Hamburger proMedia GmbH aktiv an Hausdurchsuchungen beteiligt ist, welche im Zusammenhang mit Urheberrechtsvergehen in Internettauschbörsen durchgeführt werden.
Siehe hierzu beispielsweise den letzten Beitrag in frontal21 (ZDF) vom 12.02.2008:
"Teure Töne aus dem Internet"
Geschäftsführer der proMedia GmbH und damit Arbeitgeber von Herrn Lüngen ist der Hamburger Jurist Clemens Rasch, welcher zugleich als Rechtsanwalt im Auftrag der Musikindustrie nach eigenen Angaben jährlich tausendfach zivilrechtliche Abmahnungen an die im vorherigen Strafverfahren ermittelten Anschlussinhaber versendet.
An die für ihn zivilrechtlich interessanten Adressen der Betroffenen gelangt er hierbei über Akteneinsicht bei den Staatsanwaltschaften, wo er zuvor bereits tausendfach Anzeige gegen Unbekannt auf Grundlage der proMedia-Ermittlungen erstattet hat.
Frage 1:
Muss der Bürger (und darf eine Justizministerin) akzeptieren, dass ein Mitarbeiter und damit Interessenvertreter der Gegenpartei in einem Ermittlungsverfahren als "Sachverständiger" die angeblichen "Tatwerkzeuge" vor Ort untersuchen und/oder sogar zur weiteren "Begutachtung" beschlagnahmen darf?
Die Polizeidienststelle in Paderborn findet das offenbar normal:
http://www.presseportal.de/polizeipresse/p_story.htx?nr=867935&firmai):
Frage 2:
Muss der Bürger akzeptieren, dass im Interesse der Musikindustrie unsere Staatsanwaltschaften mit solchen "Dingern" (O-Ton Ina Holznagel, Staatsanwaltschaft Dortmund*) beschäftigt werden und wer zahlt dafür?
*Quelle:
http://frontal21.zdf.de/ZDFde/download/0,6753,7002781,00.pdf
Ich erwarte nicht wirklich, dass dieser ausufernde Abmahnwahn durch die "versprochene" Begrenzung der Abmahngebühren stagniert.
Auch hätte ich mir einen effektiveren Schutz vor solchen Entwicklungen und vor allem eine schnellere Reaktion der Politiker gewünscht.
Mit freundlichen Grüßen
A. Esel
Sehr geehrter Herr Esel,
Ihre Fragen beziehen sich auf das Vorgehen von Strafverfolgungsbehörden in den Bundesländern. Die Dienstaufsicht und damit die Verantwortung für das Handeln dieser Behörden liegt bei den Ländern, insbesondere bei dem jeweiligen Landesjustizministerium. Als Bundesministerin der Justiz kann ich mich zu Einzelfällen nicht äußern. Ich habe insoweit auch keine Aufsichts- oder Weisungsbefugnisse.
In allgemeiner Form möchte ich Ihnen aber gern Folgendes antworten:
1. Strafverfolgungsbehörden und Gerichte sind oftmals auf die Hilfe von Sachverständigen angewiesen. Soweit es zur Erforschung des Sachverhalts erforderlich ist, sind die Strafverfolgungsbehörden und Gerichte befugt, Sachverständige mit Untersuchungen zu beauftragen. Die Tätigkeit eines Sachverständigen ist darauf gerichtet, Tatsachenstoff zu unterbreiten, der nur aufgrund besonderer Sachkunde gewonnen werden kann. Die Frage, ob und inwieweit die Auswertung elektronischer Speichermedien besondere Sachkunde voraussetzt und deshalb die Beauftragung eines Sachverständigen erforderlich ist, ist anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls zu beurteilen und kann nicht allgemein beantwortet werden. Eine Befugnis zur Beschlagnahme haben Sachverständige aber jedenfalls nicht. Nur das Gericht, bei Gefahr im Verzug auch die Staatsanwaltschaft und ihre Ermittlungspersonen, also Polizeibeamte, dürfen Beschlagnahmen anordnen.
Ein Sachverständiger kann unter bestimmten Umständen abgelehnt werden. Es steht jedem Beschuldigten frei, eine solche Ablehnung in Betracht zu ziehen und gegenüber den Strafverfolgungsbehörden geltend zu machen. Gegebenenfalls wird dann ein anderer Sachverständiger beauftragt, der aber zusätzliche Kosten verursachen kann.
2. In den von Ihnen geschilderten Fällen könnte es sich jeweils um strafbare Verletzungen von Rechten des geistigen Eigentums, wie z. B. Urheberrechten, handeln. Ebenso wie bei allen anderen Straftaten sind die Staatsanwaltschaften bei einem begründeten Verdacht verpflichtet, die Tat zu verfolgen.
Mit freundlichen Grüßen
Brigitte Zypries