Frage an Brigitte Zypries von Karin Dr. J. bezüglich Recht
Sehr geehrte Frau Zypries,
als Mitmensch und Autorin befasse ich mich seit Jahren mit Kindern und Jugendlichen sowie Erwachsenen, die als Kinder sexuell missbraucht wurden bzw. werden. Die Täter und Täterinnen kamen zumeist aus der eigenen Familie, dem Bekanntenkreis der Familie und der Kirche.
Das Leid, das den Opfern durch diese Täterinnen und Täter zugefügt wurde, ist in diesen Fällen lebenslang als schwere, Lebensfreude und Bindungsfähigkeit zerstörende Belastung spürbar. Die mir bekannten Täter und Täterinnen hingegen kamen zumeist ungestraft oder vor Gericht mit eher geringen Strafen davon. Nicht zuletzt deswegen, weil sexueller Kindesmissbrauch der Verjährung unterliegt. So konnte beispielsweise der Täter im Fall der Monika B., deren Lebensgeschichte ich mittlerweile in der 11. Auflage publiziere, für die dem Kleinkind zugefügten sexuellen Missbrauchshandlungen nicht mehr verurteilt werden, weil sie verjährt waren.
Meine Frage an Sie als Bundesjustizministerin:
Warum gestattet der Gesetzgeber die Verjährung einer so schweren und niederträchtigen Straftat gegen die Allerschwächsten der Gesellschaft, unsere Kinder?
Mit freundlichen Grüßen,
Karin Jäckel
Autorin
Sehr geehrte Frau Dr. Jäckel,
ich stimme Ihnen vollkommen zu, dass es eine zentrale Aufgabe des Staates ist, Kinder und Jugendliche vor sexuellem Missbrauch zu schützen und etwaige Missbrauchsfälle effektiv zu verfolgen. Dabei ist besonders zu berücksichtigen, dass Kinder und Jugendliche, die sexuell missbraucht wurden, eine bestimmte Reife benötigen, um die Folgen dieser Tat verarbeiten zu können. Häufig müssen sie zuvor auch erst die häusliche Umgebung verlassen, wenn dort der Missbrauch stattgefunden hat.
Aus diesem Grund enthält das Verjährungsrecht eine Sonderregelung für bestimmte schwere Sexualstraftaten, darunter auch der sexuelle Mißbrauch von Kindern. Danach ruht die Verjährung bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres des Opfers. Die Verjährungsfrist, die bei sexuellem Mißbrauch von Kindern regelmäßig 10 bzw. 20 Jahre beträgt, beginnt also erst ab diesem Zeitpunkt zu laufen. Sie kann darüber hinaus durch zahlreiche prozessuale Handlungen der Staatsanwaltschaft oder des Gerichts zusätzlich unterbrochen werden.
Falls Sie für eine völlige Aufhebung der Verjährungsfrist plädieren sollten, so wäre dies aus meiner Sicht jedoch nicht sinnvoll. Eine Strafverfolgung nach Ablauf der Verjährungsfrist erscheint mir kaum noch erfolgversprechend. Wenn es in einem Zeitraum von mehr als 10 oder 20 Jahren nicht gelungen ist, die Tat strafrechtlich zu ahnden, dürfte das danach erst recht nicht mehr zu erreichen sein.
Vielmehr würde es dann häufig zu Situationen kommen, in denen eine Verurteilung des Täters allein aufgrund nicht mehr vorhandener oder mittlerweile untauglicher Beweismittel (z.B. weil sich Zeugen nicht mehr eindeutig erinnern können) unmöglich ist. Ein solches Ergebnis erscheint mir gerade auch mit Blick auf die emotionale Belastung des Opfers, das diesen Verfahrensausgang dann hinnehmen müsste, nicht wünschenswert.
Mit freundlichen Grüßen
Brigitte Zypries