Frage an Brigitte Zypries von Ulrich P. bezüglich Recht
Sehr geehrte Frau Minister,
ich gehe davon aus, daß Sie und die Mitglieder des Rechtsausschusses auf fachlich hohem Niveau sind.
Daher ist es für mich unverständlich, daß immer wieder Gesetze oder Gesetzesvorlagen entweder wegen grundgesetzlichen Bedenken vom Bundespräsident nicht unterzeichnet oder vom Bundesverfassungsgericht kassiert werden. Auch die Neuregelung der Pendlerpauschale scheint rechtlich auf wackligen Füßen zu stehen. Dies alles halte ich für ausgesprochen peinlich, um nicht zu sagen skandaliös. Warum werden manche Gesetze so schludrig gemacht, daß das Grundgesetz mißachtet wird? Werden da politische Wünsche versucht zu verwirklichen, mit der Hoffnung, daß es nicht auffällt, das Grundgesetz auszuhebeln? Was ist also der tiefere Grund, daß nicht grundgesetzkonforme Gesetze manchmal verabschiedet werden?
Mit freundlichen Grüßen
Ulrich Parth
Sehr geehrter Herr Parth,
keine Frage - es gibt immer wieder Gesetze, die vom Bundesverfassungsgericht entweder ganz oder zum Teil für verfassungswidrig erklärt werden. Und selbstverständlich ist das für diejenigen, die an der Entstehung des Gesetzes mitgewirkt haben, immer ein Anlass, sich kritisch zu fragen (und fragen zu lassen), ob man das nicht hätte vermeiden können.
Ein Anzeichen dafür, Bundesregierung oder Parlament würden "schludrig" arbeiten, ist es aber nicht. Die Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes wird in jedem Stadium des Gesetzgebungsverfahrens gründlich geprüft. Das ist auch der Grund dafür, dass in der ganz überwiegenden Zahl der Fälle die vom Bundestag verabschiedeten Gesetze uneingeschränkt mit dem Grundgesetz vereinbar sind. Die vereinzelten Fälle verfassungswidriger Gesetze ziehen zwar die große Aufmerksamkeit der Medien auf sich, spiegeln aber nicht den Normalfall und das Gros der Gesetzgebungsarbeit wider. Zudem werden in der öffentlichen Diskussion die zugrundeliegenden Sachverhalte oft verkürzt dargestellt und nicht alle rechtlich relevanten Aspekte vermittelt.
Bedenken Sie bitte zudem: In einem sozialen und freiheitlichen Rechtsstaat Gesetze zu schaffen, die den komplexen Realitäten unserer Gesellschaft gerecht werden, ist eine große Herausforderung. Alle Beteiligten am Gesetzgebungsprozess ringen um die "beste" Lösung und keiner von ihnen beabsichtigt, die Verfassung zu verletzen. Selten lässt sich aber die Frage, ob eine bestimmte Regelung verfassungswidrig ist, mit einem einfachen Ja oder Nein beantworten. Unter Experten des Verfassungsrechts gibt es dabei fast immer unterschiedliche Auffassungen und jeder kann gute Argumente für seine Meinung anführen. Gerade deshalb ist es wichtig, dass am Ende das Bundesverfassungsgericht die Kompetenz hat, einen solchen Streit endgültig zu entscheiden. Es ist aber kein Beweis dafür, dass die Verfassungswidrigkeit schon während des Gesetzgebungsprozesses hätte erkannt werden müssen.
Mit freundlichen Grüßen
Ihre Brigitte Zypries