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Frage von Philippe K. •

Frage an Brigitte Zypries von Philippe K. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrte Frau Zypries,

Für die Bestimmung des anzuwendenden Personen- und Familienrechts geht das deutsche internationale Privatrecht vom Staatsangehörigkeitsprinzip aus. In Deutschland sind durch die Anwendung ausländischen Rechts Enklaven entstanden, in denen die deutsche Zivilrechtsordnung für den nicht-deutschen Teil der Bevölkerung keine Geltung hat.
So werden Iraner vor deutschen Gerichten nach dem Recht der Islamischen Republik Iran geschieden, ein Ägypter, der in Deutschland seit 40 Jahren lebt und hier verstirbt, wird nicht nach deutschem Erbrecht, sondern nach dem ägyptischen Erbrecht beerbt. Regelmäßig werden in der Bundesrepublik lebende Ausländer, die längst integriert sind, in Verwaltungs- und Gerichtsverfahren an dem Recht ihrer Herkunftsländer „festgehalten“. Und dies, obwohl die wirtschaftlichen und sozialen Lebensumstände der in Deutschland lebenden Ausländer oft keinerlei Bezug mehr zu den Prämissen aufweisen, die den Wertungen der Rechtsordnungen ihrer Herkunftsländer zugrunde liegen. Die Anknüpfung an den gewöhnlichen Wohnsitz trägt aufgrund seines unmittelbaren Bezugs zur konkreten Lebensumwelt sowohl der kulturellen Identität der Menschen als auch dem Integrationsziel heute besser Rechnung als das Staatsangehörigkeitsprinzip.

Gibt es gesetzgeberische Bestrebungen das Staatsangehörigkeitsprinzip zugunsten des Wohnsitzprinzips aufzugeben ?

Mit freundlichen Grüßen
Philippe Koch

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Koch,

in der Tat ist die Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit im deutschen internationalen Familien- und Erbrecht von großer Bedeutung. Das stimmt mit der Rechtslage in der Mehrzahl aller anderen Staaten überein. Auch diese wenden auf diesen Rechtsgebieten das Heimatrecht der Beteiligten an. Für die Beteiligten hat das den Vorteil, dass die Anerkennung einer Entscheidung, insbesondere in ihrem Heimatstaat, erleichtert wird. Die deutschen Gerichte und Behöre haben den Vorteil, dass sie die Staatsangehörigkeit im Regelfall relativ leicht und sicher feststellen können und die Gefahr von Manipulationen gering ist.

Das Entstehen ausländischer "Rechtsenklaven" in Deutschland ist dadurch nicht zu befürchten. Zum einen gibt es wichtige Bereiche im Familienrecht, in denen das Heimatrecht der Beteiligten nicht zur Anwendung kommt. So ist für den Kindesunterhalt sowie für die Wirkungen des Eltern-Kind-Verhältnisses (z.B. Sorge- und Umgangsrechtsstreitigkeiten) das Recht am gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes maßgeblich. Ein ausländisches Kind, das in Deutschland lebt, wird somit im Hinblick auf diese bedeutenden familienrechtlichen Aspekte nach deutschem Recht behandelt. Zudem können Ausländer in bestimmten Fällen anstelle ihres Heimatrechts auch deutsches Recht wählen. Das geht zum Beispiel beim Namensrecht oder beim Güterrecht.

Ausländisches Recht wird in Deutschland auch niemals schrankenlos angewandt. Wenn es zu einem Ergebnis führen würde, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar wäre, darf es nicht angewandt werden. Das gilt insbesondere dann, wenn es die Grundrechte unserer Verfassung verletzen würde.

Außerdem stehen wichtige Änderungen für das internationale Privatrecht auf dem Gebiet des Familien- und Erbrechts an - es wird derzeit nämlich "europäisiert". Ich unterstütze dies in meiner derzeitigen Funktion als Vorsitzende des europäischen Justizministerrats nachdrücklich. Denn gerade auf diesen besonders sensiblen Rechtsgebieten sollten die Bürger im europäischen Rechtsraum durch die Harmonisierung des internationalen Privatrechts mehr Rechtssicherheit bekommen.

Konkret werden derzeit auf EU-Ebene Verordnungsvorschläge zum internationalen Privatrecht in Scheidungs- und Unterhaltssachen verhandelt. Danach soll das anwendbare Recht vorrangig nach dem gewöhnlichen Aufenthalt bestimmt werden. Darüber hinaus ist davon auszugehen, dass die Europäische Kommission auch für das internationale Erb- und Güterrecht in absehbarer Zeit vergleichbare Verordnungsvorschläge vorlegen wird.

Mit freundlichen Grüßen
Ihre Brigitte Zypries