Frage an Brigitte Zypries von Dipl.-Phys. Helmut G. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrte Frau Zypries,
während die Oppositionsparteien FDP, Grüne und die Linke die Vorratsdatenspeicherung ablehnen, haben sich die Koalitionsfraktionen Union und SPD im Februar 2006 für ihre Einführung ausgesprochen. Das Bundesjustizministerium hat im November einen entsprechenden Gesetzentwurf vorgelegt.
Seit dem befürwortenden Bundestagsbeschluss im Februar hat sich die Lage aber dramatisch geändert:
* Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner im April ergangenen Rasterfahndungsentscheidung ausdrücklich “das außerhalb statistischer Zwecke bestehende strikte Verbot der Sammlung personenbezogener Daten auf Vorrat” bekräftigt.
* Der Europäische Gerichtshof hat im Mai entschieden, dass EG-Richtlinien zur Erleichterung der Strafverfolgung unzulässig sind. Für diesen Bereich sind alleine die Mitgliedsstaaten zuständig.
* Im Juni hat Irland vor dem Europäischen Gerichtshof Nichtigkeitsklage gegen die EG-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung erhoben.
* Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages hat in einem Rechtsgutachten vom August erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung geäußert. Außerdem stellt er in Frage, ob eine verfassungskonforme Umsetzung in Deutschland überhaupt möglich ist.
Wie beurteilen Sie unter diesen Gesichtspunkten Ihren Gesetzesentwurf ?
Wird hier nicht der "gläserne" Bürger geschaffen ?
Mit freundlichen Grüßen
Helmut Gobsch
Sehr geehrter Herr Gobsch,
Sie sprechen in Ihrer Frage verschiedene Gesichtspunkte der rechtlichen Bewertung der Speicherungspflichten von Verkehrsdaten, so genannter Vorratsdatenspeicherung, an.
Seien Sie versichert, dass wir bei der Umsetzung der EG-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung die berechtigten Interessen der Bürgerinnen und Bürger am Schutz ihrer Daten berücksichtigen werden. Gleichzeitig haben wir dabei aber europarechtliche Vorgaben zu beachten. Aus diesem Grund haben wir bereits an der Erarbeitung der Richtlinie auf europäischer Ebene intensiv mitgewirkt und durchgesetzt, dass die Speicherpflichten im Interesse der Freiheitsrechte von Bürgerinnen und Bürgern auf ein Mindestmaß beschränkt werden.
Die von Ihnen erwähnte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 4. April 2006 zur präventiven Rasterfahndung nimmt Bezug auf das „Volkszählungsurteil“ aus dem Jahre 1983. Darin wird näher erläutert, wie das Bundesverfassungsgericht den Begriff des „strikten Verbots der Sammlung personenbezogener Daten auf Vorrat“ auslegt. Es versteht hierunter „die Sammlung nicht anonymisierter Daten auf Vorrat zu unbestimmten oder noch nicht bestimmbaren Zwecken“ (BVerfGE 65, 1, 46). Die dort angesprochenen Datensammlungen sind jedoch nicht Gegenstand der Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung, da die Speicherung nach dieser Richtlinie für Zwecke der Strafverfolgung durchgeführt werden soll.
Man muss allerdings einräumen, dass die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 30. Mai 2006 auf die europarechtliche Bewertung der Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung großen Einfluss hat. In der Entscheidung wurden einige Passagen formuliert, die den Schluss zulassen, die Rechtsgrundlage der Richtlinie sei nicht völlig frei von Bedenken. Dieser Umstand befreit die Mitgliedstaaten jedoch nicht von ihrer aus Artikel 249 des EG-Vertrages folgenden Pflicht zur Umsetzung der Richtlinie. Daran ändert auch die Nichtigkeitsklage Irlands nichts, da von einer solchen Klage keine aufschiebende Wirkung ausgeht. Im Gegenteil ist die Richtlinie auch unabhängig von den Erfolgsaussichten der Klage umzusetzen.
Schließlich sprechen Sie das Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages vom 3. August 2006 an. Der vom Bundesministerium der Justiz eingereichte Referentenentwurf, welcher sich auf die Umsetzung der Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung bezieht, wurde erst am 27. November 2006 eingereicht. Insofern lag er dem Wissenschaftlichen Dienst bei der Erstellung seines Gutachtens nicht vor. Deshalb konnte eine abschließende Bewertung der geplanten innerstaatlichen Umsetzung der Richtlinie nicht erfolgen. Soweit das Gutachten jedoch erhebliche Fragen anspricht, wurden diese bei der Erstellung des Referentenentwurfs berücksichtigt.
Mit freundlichen Grüßen
Ihre Brigitte Zypries