Frage an Brigitte Zypries von Michael S. bezüglich Recht
Sehr geehrte Frau Zypries,
aus aktuellem Anlass würde ich gerne Ihren Standpunkt zu den derzeit geplanten erweiterten Abhörbefugnissen für (Internet-)PCs erfahren.
Insbesondere würde mich hierzu eine verfassungsrechtliche Betrachtung (sowohl Pro, als auch Contra), aber auch eine Betrachtung hinsichtlich der erhofften Ergebnisse interessieren.
Auch würde mich interessieren, wie Sie es in diesem Falle betrachten würden, wenn Bürger gegebenenfalls entsprechende Schutzmaßnahmen ergreifen. Wäre dies dann schon ein Grund, gar einen konkreten Anfangsverdacht zu begründen?
Ebenso möchte ich Sie fragen, wie Sie zu dem (nicht nur) gefühlten Verlust an Privatsphäre der Bürger stehen. Wird eine solche Regelung dem Ansehen der Bundesrepublik Deutschland als demokratischem Rechtstaat im Innern wie Äußeren Ihrer Ansicht nach eher Anerkennung oder Schaden zufügen?
Wie sehen Sie diese Problematik hinsichtlich z. B. Banken und Firmen, die personenbezogene oder betriebliche vertrauliche Daten verarbeiten? Würde Ihrer Ansicht nach eine solche Regelung Auswirkungen auf den Standort Deutschland haben und, wenn ja, welche?
Über eine ausführliche Antwort würde ich mich sehr freuen und verbleibe
mit freundlichen Grüßen
Michael Sander
Sehr geehrter Herr Sander,
Ihre Fragen vom 8. Dezember 2006 gehen offenbar zurück auf verschiedene Pressemeldungen, in denen über angebliche Pläne der Bundesregierung zur Einführung von Regelungen über so genannte Online-Durchsuchungen von privaten Computern durch Strafverfolgungsbehörden berichtet wurde. Diese Berichte bedürfen in mehrfacher Hinsicht der Klarstellung.
In der Sache geht es darum, ob Ermittlungsbehörden (Staatsanwaltschaft z. B.) unter Verwendung bestimmter Computerprogramme ohne Wissen des Betroffenen über das Internet auf private Computer zugreifen dürfen, um dort nach verfahrensrelevanten Inhalten zu suchen.
Diese Frage war in jüngster Zeit erstmals Gegenstand einzelner gerichtlicher Entscheidungen. In einem Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der landesverräterischen und geheimdienstlichen Agententätigkeit hatte der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs eine solche Maßnahme Anfang dieses Jahres auf Grundlage der §§ 102 und 105 Abs. 1 der Strafprozessordnung angeordnet. Ausgeführt wurde die Maßnahme letztlich jedoch nicht. In einem anderen Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Gründung einer terroristischen Vereinigung hat der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs im November dieses Jahres nunmehr einen Antrag auf Anordnung einer solchen Maßnahme mit der Begründung abgelehnt, das geltende Strafverfahrensrecht biete hierfür keine Rechtsgrundlage. Hiergegen hat die Bundesanwaltschaft Beschwerde eingelegt. Die Sache liegt derzeit dem zuständigen Strafsenat des Bundesgerichtshofs zur Entscheidung vor.
Die Frage, in welchen Fällen und mit welchen Mitteln Ermittlungsbehörden die Möglichkeiten des Internets für Strafverfolgungszwecke sollen nutzen dürfen, wird unter verschiedenen Gesichtspunkten seit einiger Zeit in der juristischen Fachliteratur erörtert. Im Hinblick auf die noch ausstehende Entscheidung des Bundesgerichtshofs bitte ich Sie um Verständnis dafür, dass ich mich mit einer rechtlichen Bewertung dieser Problematik in der Öffentlichkeit derzeit zurückhalte, um jeden Anschein einer versuchten Einflussnahme auf die Entscheidungsfindung des Senats zu vermeiden.
Ganz allgemein möchte ich aber deutlich machen, dass eine Online-Durchsuchung einen sehr tief greifenden Eingriff in die Grundrechte des Betroffenen darstellt und – wenn überhaupt – nur in sehr begrenzten Ausnahmefällen unter strengster Beachtung der Verhältnismäßigkeit in Betracht kommen kann. Sollte der Bundesgerichtshof in seiner Beschwerdeentscheidung Online-Durchsuchungen für unvereinbar mit geltendem Strafverfahrensrecht erklären, wird zu prüfen sein, ob ein gesetzgeberischer Handlungsbedarf zur Schaffung einer speziellen Ermittlungsbefugnis besteht.
Mit freundlichen Grüßen
Ihre Brigitte Zypries