Frage an Brigitte Zypries von Jonas R. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrte Frau Zypries,
ich widme mich jahrelang Abmahnungen wegen Urheberverstößen über sogenannten Internet Tauschbörsen. Es sind aber mittlerweile bei Abmahnungen in anderen Bereichen gegenüber privaten Verbrauchern 1.000 Gründe bekannt, um teuer abgemahnt werden zu können. Sicherlich verstehe ich, dass ein Urheber Verstöße gegen seine Rechte geltend macht. Kritikpunkte sind hier insbesondere, a) überzogene Streitwerte; b) ein völlig veralteter § 32 ZPO und c) die allgemeine "Sippenhaftung" eines AI (Anschlussinhaber) als Störer. Hier werden völlig lebensfremde Anforderungen an einen AI gestellt. Man hat den Eindruck, dass man über jede Sekunde eine Art "Internetfahrtenbuch" führen muss, um in 3 Jahren bei einer möglichen zivilrechtlichen Klage selbst beweisen zu müssen, was man genau am Tag, Stunde, Minute, Sekunde gemacht und seine Kinder periodisch und schriftlich zu belehren hat. Natürlich gibt es auch negative Seiten, aber im Internet herrschen die gleichen Gesetze wie außerhalb. Das man den Abmahnmissbrauch kennt, macht der Beschluss des Bundesrates (91/13) deutlich, wo man offen über einen Abmahnmissbrauch redet und seinem Einhalt gegenüber privaten Verbrauchern. Es würde doch schon ein scharf formulierter Anwaltsbrief ausreichen, damit man einmal über einen Verstoß informiert wird und andermal ihn nicht wiederholt, statt überzogene Anwaltsgebühren und Schadensersatz sofort einzufordern. Nur geht es hier immer um Privatpersonen die verantwortlich gemacht werden für einen Verstoß, den sie in der Regel nicht einmal selbst getätigt haben, sondern nur allein schuldig sind einen Internetzugang zu besitzen. Wenn ein Abmahnmissbrauch in Deutschland bekannt ist, wäre nicht erforderlich alle Parteien an einen Tisch zu holen, die Erziehung zu einem "Unrechtsbewusstsein" schon in der Schule, gemeinsam mit den Eltern zu beginnen, und endlich einmal ein Urheberrecht an das digitale Zeitalter anzupassen?
Mit freundlichen Grüßen
Jonas Roos
Sehr geehrter Herr Roos,
ich stimme Ihnen zu, dass sich im Laufe der Zeit in Teilen eine regelrechte Abmahnindustrie gebildet hat, der Einhalt geboten werden muss. Anwaltskanzleien, die als Geschäftsmodell gezielt nach kleinsten Verstößen von Privatpersonen fahnden, um diese mit hohen Kosten zu überziehen, haben den eigentlichen Sinn einer Abmahnung verfehlt. Es geht hier nicht mehr um die wirksame Bekämpfung von Urheberrechtsverletzungen, sondern um das Kassieren überzogener Lizenzgebühren und Anwaltskosten.
Wichtig ist zu unterscheiden, ob es sich um Bagatellangelegenheiten von Privatpersonen oder um geschäftsmäßige Urheberrechtsverletzungen handelt. In meiner Amtszeit als Bundesministerin der Justiz habe ich – wie Sie vielleicht wissen – bereits 2008 eine Begrenzung von Anwaltskosten für Bagatellfälle durchsetzen können. In der damaligen Neuregelung des Urheberrechtsgesetzes wurde festgelegt, dass die Kosten für den abmahnenden Anwalt bei erstmaliger Abmahnung in einfachen Fällen nicht mehr als 100 Euro betragen dürfen. Dadurch sollte die Unverhältnismäßigkeit der Kosten bei einer schnellen, unter Umständen unwissentlich begangenen Urheberechtsverletzung reduziert werden.
Der von Ihnen angesprochene, auf Initiative der SPD-geführten Bundesländer Nordrhein-Westfalen, Brandenburg und Rheinland-Pfalz verabschiedete Bundesratsbeschluss 91/13 fordert die Bundesregierung deutlich auf dem Abmahnmissbrauch weiter Einhalt zu gebieten. Die Bundesregierung hat nun vergangene Woche ein neues „Anti-Abzock-Gesetz“ beschlossen, das den Streitwert bei bestimmten Fällen auf 1.000 Euro beschränken soll, um so die Abmahnkosten zu deckeln. Dieses Gesetz geht in die richtige Richtung, lässt allerdings durch eine vage formulierte Öffnungsklausel im Einzelfall noch zu viel Interpretationsspielraum. Es bleibt unklar, in welchem Fall die Obergrenze für Privatnutzer nicht gilt. Da sich die Bundesregierung monatelang geweigert hat überhaupt gegen die Flut von Abmahnungen entschieden vorzugehen, bleibt abzuwarten, inwiefern durch das „Anti-Abzock-Gesetz“ ein verbesserter Schutz von Verbraucherinteressen wirklich erreicht werden kann. Die SPD-Bundestagsfraktion wird in den weiteren parlamentarischen Beratungen dafür sorgen, dass dem Missbrauch von Abmahnungen wirklich wirksam entgegengetreten wird.
Neben dem besseren Schutz der Verbraucher vor unverhältnismäßigen Mahnforderungen steht für mich aber auch der Schutz der Urheber im Vordergrund. Auch aus diesem Grund streben wir ein stärkeres Vorgehen gegen illegale Plattformen an als dies bisher geschehen ist. Das Urheberrecht benötigt nämlich in der Tat eine dringende Anpassung an das digitale Zeitalter – den großen Ankündigungen der Justizministerin zum 3. Korb des Urheberrechts sind bislang aber leider keine Taten gefolgt.
Zur Ihrer Anmerkung zur Haftung des Anschlussinhabers kann ich sagen, dass der Bundesgerichtshof am 15.11.2011 im Urteil I ZR 74/12 entschieden hat, dass der Anschlussinhaber bei Verstößen seiner Kinder nicht haftet, wenn diese vorher über das Unrecht der Urheberrechtsverletzung aufgeklärt wurden und die Eltern keine Anhaltspunkte für eine Zuwiderhandlung der Kinder hatten. Vorausgegangen war die Anklage gegen zwei Eltern, deren 13-jähriger Sohn illegale Tauschbörsen benutzt hatte. Es ist aber weiterhin absolut notwendig, dieses Unrechtsbewusstsein gemeinsam mit allen gesellschaftlichen Akteuren und auf allen Ebenen weiter zu schärfen.
Für einen weiteren Einblick in unsere Positionen zum Urheberrecht füge ich Ihnen zwölf Thesen für ein faires und zeitgemäßes Urheberrecht bei, die wir in der SPD Bundestagsfraktion erarbeitet haben. Sie finden diese hier: http://www.spdfraktion.de/sites/default/files/thesenpapier_zwoelf_thesen_fuer_ein_faires_und_zeitgemaesses_urheberrecht.pdf.
Mit freundlichen Grüßen
Brigitte Zypries