Frage an Brigitte Zypries von Andreas H. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Frau Abgeordnete Zypries,
danke, dass Sie sich prompt gemeldet haben.
Bzgl. meiner Anfrage möchte ich noch ergänzen, daß mir schon klar ist, daß die Aussage von Prof. Schachtschneider im Video: http://www.youtube.com/watch?v=3iuPA48VwIM
insofern überholt ist, als in einer Zusatzerklärung zum Lissabon-Vertrag ein (deutscher bzw. EU-) Bürger bzgl. seiner im GG festgelegten Grundrechte nicht schlechter gestellt werden darf.
Mir geht es aber darum, dass in einem sich nach oben hin für den Einzelnen total unüberschaubaren Europa, das über das völlig heterogen zusammengesetzte Parlament Institutionen "über die Bande" eingerichtet sind, die Interessen Einzelner gar nicht mehr wahrnehmen können und durch Edition solcher Kommentare zu den Menschenrechten wie im Video gezeigt, zumindest zeitweise völlig perverse Rechtszustände schaffen können.
(Subsidiaritätsprinzip)
Was passiert denn, wenn einem solchen oder ähnlichen Artikel unter unzähligen anderen einmal nicht mehr entgegengetreten wird?
Darin erkenne ich u.a. das nicht mehr verantwortbare Demokratiedefizit der EU und Ihrer Organe.
Denken Sie z.B. bei der o.g. Problematik einen schon andiskutierten Einsatz der Bundeswehr im Inneren bei "Bedrohungsszenarien" !- Jetzt noch undenkbar, aber -panta rhei, und das in der Politik ja offenkundig sehr schnell- irgendwann greifbare Realität.
Ich freue mich auf Ihre Antwort,
Mit freundlichen Grüßen,
A. Hausler
Arzt
Sehr geehrter Herr Hausler,
ganz richtig haben Sie erkannt, dass die Grundrechte des Grundgesetzes in ihrem Geltungsbereich garantiert sind. Ein geringeres Schutzniveau auf europäischer Ebene kann nicht dazu führen, dass gegen die deutsche Verfassung verstoßen und die Todesstrafe in Deutschland eingeführt wird. In der europäischen Grundrechtecharta und in der Europäischen Menschenrechtskonvention mussten sich die unterzeichnenden Staaten auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einigen. Leider war es nicht möglich, ein absolutes Verbot der Todesstrafe durchzusetzen, weshalb die entsprechenden Vorschriften nun die von Ihnen kritisierten Ausnahmeregelungen beinhalten. Auch ich bedauere diese Einschränkungen sehr, habe jedoch die große Hoffnung, dass wir gerade dank der friedenssichernden Funktion der Europäischen Idee niemals in eine solche Ausnahmesituation kommen werden.
Durch europäische Grundrechtecharta und die Europäische Menschenrechtskonvention haben wir in Deutschland ein Mehr an Grundrechtsschutz gewonnen. Zum Einen kann sich der Einzelne nun vor den deutschen Gerichten auf weitere Grundrechte berufen. Zum Anderen stellt das Bundesverfassungsgericht in vielen Fällen nicht mehr die letzte Instanz dar, sondern es steht der Rechtsweg vor den EuGH oder den EGMR offen.
Mir Ihren grundsätzlichen Bedenken, in der Europäischen Union sei ein Demokratiedefizit auszumachen, sind Sie freilich nicht allein. Ausgehend von einer intergouvernementalen Zusammenarbeit hat sich die in den vergangenen Jahren eine Organisation entwickelt, die mehr ist als ein bloßer Staatenbund, jedoch auch keinesfalls mit einem souveränen Staat verglichen werden kann. Dies bringt es mit sich, dass Entscheidungsfindungsprozesse anders vonstattengehen, als wir es auf nationaler Ebene gewohnt sind. Nach wie vor spielen beispielsweise der Europäische Rat und die Kommission eine große Rolle. Auch diese Institutionen sind jedoch durch ihre Rückbindung an Regierungen der Mitgliedsstaaten demokratisch legitimiert. Mit dem Vertrag von Lissabon wurden nun nicht nur die Kompetenzen der EU erweitert, sondern vor allem auch die Rechte des Europäischen Parlaments gestärkt. Ihm kommt nun gerade im Gesetzgebungsverfahren eine sehr viel wichtigere Rolle zu.
Mit freundlichen Grüßen
Brigitte Zypries