Frage an Brigitte Zypries von Dr. Andreas van A. bezüglich Jugend
Sehr geehrte Frau Zypries,
mit großem Interesse habe ich Ihre Antworten zum Thema Beschneidung von Jungen gelesen. Diesbezüglich möchte ich Sie gerne fragen, wie eine gesetzliche Regelung aussehen könnte, die die Beschneidung von Jungen aus religiösen Gründen erlaubt, aber trotzdem verfassungskonform ist. Konkret geht es mir um die Gleichberechtigung von Männern und Frauen bzw. Mädchen und Jungen. Könten Sie mir also bitte juristisch erläutern, wie es nach unserer Verfassung möglich seien sollte, dass Jungen einen geringeren Anspruch auf körperliche Unversehrtheit haben als Mädchen? Eine Vorhaut mit absolut vergleichbaren Aufgaben haben schließlich beide Geschlechter.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Andreas van Almsick
Sehr geehrter Herr Dr. van Almsick,
gerne möchte ich Ihnen auf Ihre Fragen antworten.
Zunächst einmal werden in Ausschüssen unter Hinzuziehung von Experten aus unterschiedlichen Wissenschaften Modelle einer möglichen gesetzlichen Regelung erarbeitet werden, wobei es mir noch nicht möglich ist darzustellen, wie diese konkret aussehen werden. Eine Idee ist, einen kurzen Passus in das Gesetz über die religiöse Kindererziehung einzufügen. So zum Beispiel:
§ 3a
Die Sorgeberechtigung in religiösen Angelegenheiten umfasst auch die Einwilligung in eine von medizinisch qualifiziertem Personal durchgeführte Zirkumzision, wenn eine solche nach dem religiösen Selbstverständnis der Sorgeberechtigten zwingend geboten ist.
Grundsätzlich besteht die Möglichkeit, sich an bestehenden Regelungen aus anderen Ländern, wie zum Beispiel Schweden, zu orientieren. Eine solche Regelung dürfte auch selbstverständlich nicht gegen die Gleichheitsgrundrechte des Art. 3 GG verstoßen. Diese Gefahr sehe ich allerdings nicht.
Ich halte den Vergleich zwischen weiblicher und männlicher Beschneidung aus religiösen Gründen für höchst unangebracht. Bei der Beschneidung von Mädchen ist die Beschränkung auf die Entfernung der Klitorisvorhaut praktisch nirgendwo üblich, wo weibliche Genitalverstümmelung durchgeführt wird. Die teilweise oder vollständige Entfernung der Klitoris ist in nichts vergleichbar mit der Entfernung der Vorhaut bei Männern. Die verschiedenen Praktiken der Beschneidung weiblicher Genitalien stellen allesamt sehr viel weitreichendere Eingriffe dar als die Vorhautbeschneidung bei Jungen, das sieht auch die WHO so. Darüber hinaus ist der Zweck dieser Praktiken, anders als bei der Entfernung der männlichen Vorhaut, Verstümmelung und Diskriminierung, und ich bleibe dabei: nichts rechtfertigt irgendeine ihrer vielfältigen, grausamen Erscheinungsformen, auch künftig nicht. Weibliche Genitalverstümmelung ist und bleibt in Deutschland - wie in allen anderen Staaten der Europäischen Union - strafbar und verboten.
Da für eine gesetzliche Regelung der Klitorisvorhautbeschneidung aus religiösen Gründen schon gar kein Bedürfnis besteht scheidet die Gefahr einer Ungleichbehandlung von vorneherein aus.
Mit freundlichen Grüßen
Brigitte Zypries